„Wenn Nazi-Aktivitäten in dieser Stadt verharmlost oder gar geleugnet werden …“

Es gibt Sätze, die zeitlos bleiben. Leider. Ein kurzer Rückblick auf den Nazi-Angriff vor dem „Café Tigges“ in Düsseldorf-Bilk, im Juni vor 20 Jahren

Messerstiche in Rücken, Arm und Schulter, Faustschläge, sogar die Gefahr, mit einem Pflasterstein erschlagen zu werden – dies waren die so bitteren, gewissermaßen handgreiflichen Momente in der Bilanz des Nazi-Angriffs auf Gäste des „Café Tigges“ am Abend des 13. Juni 2001. Vor nun 20 Jahren. Es war Glück, dass der Angriff die Verletzten nicht in Lebensgefahr brachte. Knapp …

Kurz zuvor waren drei Personen – darunter der damalige Pressesprecher des AStA der Universität Düsseldorf und ein auswärtiger Journalist – bereits auf ihrem Weg in die Kneipe „Tigges“ auf der Merowinger Straße angepöbelt und mit „Sieg Heil“-Rufen konfrontiert worden. Wohl, wie es später im Verlauf des Strafprozesses hieß: als Provokation. Der später wegen schwerer Körperverletzung und Verwendung verfassungsfeindlicher Kennzeichen zu 2½ Jahren Haft verurteilte Sven Ripphahn hatte in staatsanwaltschaftlicher Vernehmung angesichts der Beweislast gegen ihn ausgesagt, dass er und sein Begleiter und Mittäter Sven Gustavsohn unter den später Angegriffenen eine Person erkannt haben wollten, die Monate zuvor dafür gesorgt hätte, dass die beiden und weitere Personen einer mehrköpfigen Nazi-Skinhead-Gruppe aus dem Lokal „Tigges“ rausgeflogen seien. Wohlgemerkt: Weil sie dort mit „SA-SS“-Rufen aufgetreten waren. Die beiden irrten – keines ihrer Opfer war an dem besagten Abend Gast im „Tigges“ gewesen. Der Zusammenhang aber, der stimmte.

Angriff mit Unterstützung

Die Nazi-Skins gaben am 13. Juni 2001 nach ihrer unerwiderten Provokation auf der Merowinger Straße erst einmal Ruhe. Kurze Zeit danach aber überholten sie die später Angegriffenen, die ihren Weg zum „Tigges“ fortsetzten. In der Kneipe „Lokomotive“ unterhalb des Bilker-S-Bahnhofs (heute ist dort ein Fritten-Restaurant) holten sie mit dem Vater von Sven Ripphahn und zwei weiteren Kneipengästen Verstärkung für ihren Angriff. Sie erreichten die Gruppe im Laufschritt unmittelbar, bevor diese das „Tigges“ betreten konnte. Vor der Tür attackierten sie sofort zwei Personen, den AStA-Referenten und den Journalisten. Sie verletzten sie in gemeinschaftlicher schwerer Körperverletzung, wie es später hieß, mit Faustschlägen und mit zentimetertiefen Messerstichen. Sven Ripphahn gestand später, das Tatwerkzeug – wohl ein Taschenmesser – geführt zu haben. Gefunden wurde es nicht.

Unpolitisch?

Am Tag nach dem Angriff folgten über 1.000 Menschen aus Düsseldorf und über 30 NRW-Städten dem Aufruf des „Koordinierungskreises antifaschistischer Gruppen aus Düsseldorf“ (ANTIFA-KOK), die Nazi-Angriffe nicht unkommentiert zu lassen. In einer spontanen Demonstration, die vom Tatort vor dem „Tigges“ durch Bilk zu den Wohnungen der drei tatbeteiligten Neonazis führte, machten sie auf den neonazistischen Charakter des Angriffs aufmerksam, benannten Täter und Motiv. „Enough is enough. Zieht Euch warm an“ war die klare Botschaft. Sie richtete sich sowohl an die Gruppe der Nazi-Skinheads, zu denen auch Ripphahn und Gustavsohn gehörten als auch an die weiteren Vernetzungen bis hin zur „Kameradschaft Düsseldorf“ um Sven Skoda.

Die Strafermittlungsbehörden brauchten für die Erkenntnis, dass es sich um rechtsmotivierte Gewalt gegen „politische Gegner“ gehandelt hat: Wochen. Zwischendurch beschuldigte sie die Opfer, die Ermittlungen zu behindern, bedrohte einen der Verletzten sogar mit Beugehaft für den Fall, dass er über weitere Zeugen schweige. Dieser fand im Juli 2001 im Interview mit der TERZ klare Worte: Solange „Nazi-Aktivitäten in dieser Stadt verharmlost oder gar geleugnet werden“, gelte es, die Angegriffenen und grundsätzlich alle potentiell von Nazi-Gewalt Bedrohten zu schützen. Ohne auf den Staat vertrauen zu können.

Das gilt auch 20 Jahre später noch. Wir verlassen uns weiter auf uns selbst. Den Verletzten vom Angriff auf das „Tigges“ am 13. Juni 2001 wünschen wir, dass die zwanzig Jahre „Zeit“ geholfen haben, die Wunden zu heilen.


Fahrrad-Demo für den Weiterbau des Radweges Am Trippelsberg
Sa., 05.06., 12, IHK, Ernst-Schneider Platz über Rathaus zum Trippelsberg
Das Bündnis Mobilitätswende und die Bürgerinitiative Hafenalarm rufen zur Fahrrad-Demonstration auf. Einige am Trippelsberg ansässige Unternehmen, namentlich Tata Steel, beanspruchen den öffentlichen Verkehrsraum für ihren Schwerlast-Verkehr und wollen deshalb die vom Ordnungs- und Verkehrsausschuss (OVA) beschlossene Protected Bikelane (PBL) dort verhindern. Mit Unterstützung der IHK und offenbar auch des OB, der Düsseldorf vor allem als Industriestadt sieht, haben sie bei der Verwaltung einen faktischen Baustopp erwirkt und damit die demokratische Entscheidung vorerst ausgehebelt.

Gestrandet und nicht angekommen: Wie das europäische Asylsystem ein wirkliches Ankommen verhindert
Di., 08.06., 19h, kostenloser Online-Vortrag, Anmeldung: sabine.reimann[at]hs-duesseldorf[dot]de
Der Vortrag beschäftigt sich mit dem Ankommen von Geflüchteten in Europa sowie der europäischen und deutschen Asylpolitik, mit der sie sich anschließend konfrontiert sehen. Die Dublin-III-Regelung weist sie ohne jegliche Mitbestimmungsmöglichkeit EU-Ländern zu, ohne dass in allen Ländern Mindeststandards einer humanen sozialen oder medizinischen Versorgung sichergestellt werden. So geht für viele Geflüchtete die Odyssee in Europa weiter. In Deutschland finden sich die meisten in Lagern wieder, in denen sie von jeglichem Kontakt zur übrigen Bevölkerung ebenso abgeschnitten sind wie von einer unabhängigen Asylrechtsberatung. Und nicht wenige landen in einer aufenthaltsrechtlichen Illegalität, in der sie entrechtet und noch mehr auf Unterstützung von solidarischen Menschen angewiesen sind. Die Referierenden Jan Lis und Nicole Tauscher sind als Sozialarbeiter*innen tätig bei STAY! Düsseldorfer Flüchtlingsinitiative e.V.. STAY! unterstützt Geflüchtete in allen aufenthaltsrechtlichen Lagen und setzt im Zusammenspiel mit vielen anderen Initiativen der staatlichen Ausgrenzung Solidarität entgegen. Eine Veranstaltung der Reihe „Flucht - Hilfe – Rettung“ des Erinnerungsort Alter Schlachthof an der Hochschule Düsseldorf (HSD).