Why we matter

Macht sichtbar zu machen ist ein politisches Projekt internationaler Tragweite. Es kann uns nach vorne bringen, wenn wir Macht und unterschiedliche Unterdrückungssyteme als verschränkt begreifen und unsanschauen, wie sie sich gegenseitig (ver)stärken. In „Why we matter“ schildert Emilia Roig die Möglichkeiten, intersektionaler Gerechtigkeit näher zu kommen. Ob in Schule oder Werkstatt, im Familienwohnzimmer, im Gerichtssaal oder in der Diversität von Körpern und „Geschlecht“.

Emilia Roig beschreibt in ihrem Buch die Unterdrückung und Ausbeutung durch Kapitalismus, Rassismus und Sexismus. Sie denkt diese Strukturen und Denkweisen als ineinander verwoben, also als intersektional. Durch ihren grundlegenden Blick auf diese Verschränktheit, mit der Machtverhältnisse zu und miteinander in Beziehung stehen, gelingt es ihr, zu beschreiben und zu analysieren, wie Privilegien und Unterdrückung gleichzeitig bestehen: dass sehr viele Menschen in einem bestimmten Kontext „Täter*in“ sind, und zugleich in Bezug auf einen anders gelagerten Zusammenhang „Opfer“; dass sie in einem Fall oder in einer Situation Privilegien haben, und in anderen nicht. Diese theoretischen Überlegungen verbindet Roig immer wieder mit persönlichen Gedanken über ihr Leben oder ihr Aufwachsen in einer „transracial“ Familie. Dabei umreißt sie ein Panorama all der Zustände und Strukturen, mit denen es eine emanzipatorische Linke heute zu tun hat.

Im Einzelnen untersucht und diskutiert Roig, Gründerin des in Berlin ansässigen Center for Intersectional Justice (2017), entlang von Kontaktzonen und Räumen, wo Ungleichheit als Machtfaktor in täglichen Begegnungen wie in strukturellen Zusammenhängen relevant ist: in Medien, in Schulen und Universitäten, in Gefängnissen und Justizwesen, im „Körper der Frauen“, in der Medizin und nicht zuletzt stets in der langen Tradition des Kolonialismus. Immer wieder fragt sie: Wer ist wie sichtbar? Wer darf sprechen? Wer wird wo repräsentiert? Wer macht die (unbezahlte) Arbeit, und wer definiert (dabei) eigentlich z.B. „Leistung“, „Gesundheit“ oder „das Normale“? Diese Fragen klingen banal, in ihrer Einfachheit (ebenso wie in den Antworten) liegt aber eine Radikalität und (damit) eine große und motivierende Kraft. So arbeitet Emilia Roig etwa heraus, dass Schule und Universität heutzutage die größten Barrieren und Filter für den späteren Lebensweg sind. Zu diesen wie den anderen Bereichen, die sie beschreibt, formuliert sie allerdings, dass sich Menschen seit langem und immer wieder mit Energie und Stärke auf den Weg machen, um hegemoniale Strukturen lautstark zu benennen. Darin, so Roig in verschiedenen Interviews zu ihrem Buch, liege die berechtigte Hoffnung, dass intersektionale Gerechtigkeit greifbar werden, dass sie real werden kann.

Roig meint hier vor allem die Kraft eines anderen Wissens. Das vorhandene, und von rassistischen und sexistischen Mustern durchzogene („europäische“) Wissen kann etwa dekolonisiert werden. Falsche Vorstellungen davon, was zum Beispiel Objektivität oder Neutralität seien, können überwunden werden, wenn Wissensbestände über von Macht und Privilegien gesetzte „Traditionen“ hinweggehen. Dabei ist Roig in einem Punkt sehr klar: Unterschiede zwischen Menschen sind da. Es wäre naiv, sie zu leugnen. Nicht allerdings diese Verschiedenheit ist das Problem. Trennend sind vielmehr die Wertungen und Abwertungen, die damit verbunden sind und Unterdrückung vorausgehen. Sie zu stoppen ist möglich.

Dabei vergisst Emilia Roig bei all der (Beschreibung von) Abwertung und Gewalt, von Trauma und Tod nie, dass es um mehr Anteilnahme, Kooperation und Fürsorge gehen muss. Ohne Selbstliebe gibt es keine Veränderung und keine Kraft dafür.

Roig zeigt die Vielseitigkeit von Unterdrückungsverhältnissen. Ihr geht es aber immer auch um Handlungsfähigkeit, einzeln und gemeinsam – und was dafür nötig ist. Sie zeigt nicht zuletzt anschaulich, an historischen und aktuellen Kämpfen und Bewegungen, dass auch „Unterdrückte“ handeln und Widerstand leisten.

Das beeindruckende und vielseitige Buch ist Ergebnis eines akademischen Aktivismus. Die knapp 400 Seiten sind bei aller Intensität aber leicht und unangestrengt lesbar. „Why we matter“ ist gut geeignet, an interessierte Verwandte, Nachbar*innen oder Mitbewohner*innen verschenkt – oder verliehen – zu werden. Im Kreis von Freund*innen und Genoss*innen kann es zuversichtlicher machen. Und klarer über unsere Position, Power, unser Gehörtsein und Raumeinnehmen. So unterschiedlich wir auch sind.

Bernd Hüttner

Zum Buch von Emilia Roig: Why We Matter. Das Ende der Unterdrückung Aufbau Verlag, Berlin 2021, 396 Seiten, 22 EUR lohnt es, die Video-Dokumentation der Buchpremiere im Berliner Gorki-Theater im Februar 2021 anzusehen – vor, beim, nach dem Lesen: https://youtube.com/watch?v=KkWXtUASkqM