„Ich glotz TV“

Ein Streifzug durch die bunte Nachrichten- und Medienwelt zwischen Streamings, Politics und Deutungshoheit – von „Versammlungsgesetz NRW stoppen!“ bis Kommunalpolitik

Wenn in der Medienlandschaft die lauten Player das Geschäft der Politik besorgen, ist das oft nervig, manchmal absurd und in den seltensten Fällen zu Gunsten linker Interpretationen der Welt. Darum hat die TERZ jetzt das Parlamentsfernsehen und die Online-Streams von Behörden entdeckt – und empfiehlt sehr herzlich: Guckt selbst mal!

Igitt: Mit „Fakten“ Meinung machen

Von FOCUS & Co. wissen wir, dass sie als selbsternannte „Meinungsmagazine“ Auftragserfüller*innen sind oder mitunter ein eigenes Interesse daran haben, Nachrichten so zu formulieren, dass ihre Leser*innen die Welt hinterher so sehen, wie es den Schreibenden, Redaktionen und ihren Stichwortgeber*innen gefällt. Blöd nur, wenn sie zugleich als Prüfstein für eine „Wahrheit“ gelten wollen, die, wenn überhaupt ihre eigene, nicht aber eine allgemeingültige ist.

Wäre es nicht so traurig, ließe sich manchmal sogar vortrefflich lachen darüber. Erinnert Ihr Euch an die Meldung des FOCUS, mit der das „Fakten, Fakten, Fakten“-Magazin Anfang Juli 2021 darüber berichtete, wie die Kölner Polizei die Konferenz eines internationalen kurdischen Vereins in Bergisch-Gladbach verboten hat? Triefte auf FOCUS-Online doch in jeder Zeile der Wunsch durch die Buchstaben, die Veranstalter*innen zu kriminalisieren. Wo Argumente fehlten, purzelten Vokabeln durch den Text, die von der angeblich sexuellen (!) Attraktivität der kurdischen Bewegung kündeten und vorgaben, vor Verführung warnen zu wollen.

Das Kichern über derart alberne Behauptungen weicht dann aber doch schnell dem Gefühl, dass Journalismus hier vor allem niederschreibt, was die Politik und die sogenannten Ordnungs- und Sicherheitsbehörden verkündet wissen möchten. Am liebsten in Hochglanz. Garniert mit einer großen Portion Rassismus und Populismus. Keine Pointe.

Flop: „Faktencheck“ behaupten

Manchmal wollen solche Kooperationen zwischen Newsroom und Staatsräson aber einfach nicht gelingen. So berichtete der WDR am 23. August 2021 etwa in seiner Lokalzeit-Sendung – sehr professionell und unaufgeregt – über eine Demonstration von Antifaschst*innen, die tags zuvor unter dem Motto „Bringin‘ it down“ zu den Nazi-Hotspots rund um die Emscher Straße in Dorstfeld hatte ziehen wollen. Die Polizei jedoch hatte im Vorfeld „die Neonazis davon informiert“, welchen Weg die Demo nehmen würde. Dorstfelds Nazis konnten in der Folge in aller Ruhe gegen die Demo-Route klagen – mit vielleicht kalkuliertem Beifang.

Denn kaum dass die Nazi-Klage lief, fanden sich überraschend Name und Adresse der Anmelderin der Antifa-Demo in deren einschlägigen Social-Media-Posts wieder: „Offenbar hatte das Verwaltungsgericht sie in dem Beschluss über die Demoroute veröffentlicht“ und den Dortmunder Nazis damit zur Kenntnis gebracht, schrieb der WDR auf seinen Newsseiten am 23. August. Der Düsseldorfer Rechtsanwalt Jasper Prigge, der die Anmelderin der Demo vertritt, stellte gegenüber dem WDR fest, dass mit der Veröffentlichung der persönlichen Daten seiner Mandantin das Risiko einhergeht, potenzielles Ziel von Angriffen durch Nazis zu werden. Der datenschutzrechtlich mindestens höchst fragwürdige Umgang von Polizei und Justiz mit den Interna zur Demo-Route und zur Anmeldung ist ohne Zweifel: ein riesiger Bock!

Nun wissen wir aber, dass die Polizei selbst in wirklich, wirklich ungünstigen Momenten einen für sie passenden Umgang mit den Medien zu finden gewohnt ist. Das gelingt meistens. Eher selten funktioniert die Pressearbeit der Polizei nicht – so aber hier:

Weil es „missverständliche Berichterstattung“ über das polizeiliche Handeln im Kontext der Antifa-Demo gegeben habe, veröffentlichte die Dortmunder Polizei Tage nach dem WDR-Beitrag, am 27. August, auf dem „Blaulicht“-Presseportal der Polizei wiederum einen eigenen Bericht – wie selbstverständlich bezeichnet als „Faktencheck“.

Doch wo Polizei Teil des Problems ist, wird Polizei kaum Teil unabhängiger Berichterstattung sein, oder? Einen „Faktencheck“ über sich selbst kann sie erst recht nicht liefern. Leider aber kann sie sich darauf verlassen, dass es Nachrichten- und Presseveröffentlichungen geben wird, die ihre Zeilen übernimmt. Ungeprüft, wörtlich, abschreibend.

Top: Konter geben

Zum Glück gibt es Ausnahmen. Und es gibt Medienaktivist*innen, kluge Pressespiegel-Tweets und Menschen, die für soziale Bewegungen, linke und linksradikale Szenen oder als Aktionsbündnisse oder kritische Medien-Aktive auf den Plan treten. Denn es gilt, der vermeintlich ungebrochenen Medienhoheit von Staat und Behörden in die Suppe zu spucken. Erst recht, wenn sie wie selbstverständlich ihr Selbstbewusstsein zur Schau tragen, immer und in ihrem Sinne Gehör für jeden Mist zu finden.

Die Stellungnahme, mit der die „Antifa 170“ aus Dortmund der Polizei schon wenige Stunden nach dem vermeintlichem „Faktencheck“ einen Konter gab, dürfte die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit-Abteilung im Polizeipräsidium Dortmund darum erheblich ans Rudern gebracht haben. Spießte sie doch beinahe genüsslich deren peinliche Vokabel vom angeblichen Wahrheitsgehalt der polizeilichen Sichtweise auf als das, was sie ist: ein klares Zeichen dafür, „wie unangenehm der Behörde öffentliche Kritik ist“.

Die „Antifa 170“ sorgte binnen kurzer Zeit dafür, dass die für Antifaschist*innen saugefährliche Polizei- und Justizarbeit ohne Verzögerung sichtbar wurde und in aller Munde war. Eine Steilvorlage für diejenigen Medienhäuser, die bereits zuvor kritisch berichtet hatten. Am Ende hatte diese Intervention sogar noch einen Funken Gutes: In Chemnitz, wo Neonazis – wie zuvor ihre „Kameraden“ in Dortmund – Ende August nach dem Vorbild aus dem Ruhrgebiet gegen eine antifaschistische Demo zu klagen versucht haben, hat der Trick mit der Preisgabe persönlicher Daten nicht geklappt.

Strike: Politiker*innen beim Behaupten zuhören

Noch viel folgenreicher und erfolgreicher dürfte die Medienarbeit des Bündnisses „Versammlungsgesetz NRW stoppen!“ sein. Wenn auch mit einem ähnlich unangenehmen Ausgangspunkt: der ersten Protest-Demo im Sommer 2021. Im Nachgang dieser Bündnis-Demo am 26. Juni (TERZ 07/08.2021) setzen die Aktivist*innen und ihre Unter­stützer*innen auf kluge Öffentlichkeitsarbeit. Kleinteilig und mit kühler Stirn thematisiert das Bündnis vor allem auf seinen Social Media- und Online-Kanälen die Polizeigewalt, mit der die Demo zunächst bedrängt, dann angegriffen, schließlich gespalten, über Stunden festgesetzt und drangsaliert wurde bis tief in die Nacht.

Die Medienarbeit flankiert klug die anhängigen Klagen gegen das Vorgehen der Polizei, deren Handeln – Kessel, Teil-Auflösung, Einschränkung der Bewegungsfreiheit, Knüppel, Pfefferspray, psychische Gewalt und (Androhnung von) Repression – als unverhältnismäßig zu sehen ist, als unrechtmäßig gelten dürfte und gegebenenfalls auch als strafbewährt zu behandeln sein wird.

Im Juli veröffentlichte das Medienprojekt NRWE.news schließlich eine Video-Chronologie des Demo-Verlaufs, kontrastierte dabei Video-Material und Analysen von Bild-Ausschnitten und Nachrichten-Tickern des Tages mit den Aussagen aus der Politik: Der Beitrag schaut den Politiker*innen im Landtag von Nordrhein-Westfalen auf’s Maul. Er hält fest, wie sie in der Aussprache zu den Ereignissen vom 26. Juni 2021 im Landtagsplenum die Einsatztaktik der Polizei verteidigten, irreleitende oder sogar nicht beweisbare Behauptungen ins Feld führten, mit unklaren Formulierungen hantierten oder von den Details des nachweislich dokumentierten Ablaufs abwichen.

In der Auswertung tritt damit Schritt für Schritt hervor, wie interessengeleitet die Landespolitik auf das „Demonstrationsgeschehen“ vom 26. Juni schaut, wie sehr sie auch dort ihre Schäfchen ins Trockene holen möchte, wo durch die Einsatztaktik und das Vorgehen der Polizei während der Demo das Kind schon längst in den Brunnen gefallen ist:

Das repressive, grundrechtefeindliche Versammlungsgesetz, das Innenminister Herbert Reul (CDU) zur Einschränkung des grundgesetzlich verbrieften Rechts auf Versammlung auf Biegen und Brechen bis Mai 2022 durchsetzen will, ist verfassungs- und demokratiefeindlich, vom ersten bis zum letzten Buchstaben.

Und jetzt weiß das auch die ganze Republik. Von Hintertupfingen bis Berlin, von Euskirchen bis Hamm, vom Sauerland bis an Rhein und Ruhr. Die Medien-Arbeit des Bündnisses „Versammlungsgesetz NRW stoppen!“ und seiner Unterstützer*innen hat den Ausflüchten und schiefen Wahrheitsbehauptungen der NRW-Politiker*innen zugehört, sie als Verantwortliche und Akteur*innen der autoritären Formierung von Staat und Gesellschaft beim Wort genommen. Wenn Wort und Bild aber für alle erkennbar nicht zusammengehen, werden die Widersprüche unangenehm für Politiker*innen mit Ambitionen. Denn ihre offenkundigen Ausflüchte werden sichtbar und hörbar – vor den Augen und Ohren von Wahlvolk und Öffentlichkeit.

Läuft: Parlaments-TV gucken

Die Video-Dokumentation von NRWE.news wurde dank der gelungenen Kampagnen-Arbeit des Aktionsbündnisses zum Stopp des NRW-Versammlungsgesetzes massenhaft verbreitet. Die Entblößung, wie sie mit der Video-Dokumentation von NRWE.news gelungen ist, kann dadurch politische Stimmungen verändern. Sie kann Wähler*innenstimmen kosten. Negative Schlagzeilen über polizeilich gestaltete rechtsfreie Räume, Knüppelgarden und schlechte Gesetze, die vor dem Verfassungsgericht landen werden, weil sie gegen das Grundgesetz verstoßen, kann ein Armin Laschet-regiertes NRW, kann ein Innenminister Reul im Wahlkampfjahr 2021 nicht brauchen. Im Mai 2022 will die CDU außerdem in NRW wiedergewählt werden. Wenn sie schon im aktuellen Bundestagswahlkampf eine knödelige Figur abgibt und sich auf Bundesebene mit ihrer menschenrechtswidrigen Afghanistan-und Asyl-Politik immer weiter nach Rechtsaußen entgrenzt, dürfte es auch in Nordrhein-Westfalen eng werden für die CDU und für eine Neuauflage ihrer aktuellen Regierungsverantwortung in NRW.

Darum ist es wichtig, dass wir genauer hinsehen und uns selbst ein Bild machen. Wie aber ginge das besser, als mit dem konkreten Blick auf Tun und Handeln, Sagen und Sprechen der Politiker*innen. Die Video-Dokumentation von NRWE.news hat vorgemacht, wie’s geht: „Ich glotz TV“.

Kommunalpolitik im Videoformat

Angefixt von der Erkenntnis, dass der direkte Zugang – die gewissermaßen selbsterlittene Recherche am Bildschirm – immer noch die besten, weil selbstgemachten Analysen auswirft, hat sich die TERZ-Redaktion vor den Computer gesetzt. Probelauf: Die Sitzung des Rates der Kreisfreien Stadt Düsseldorf, Fallbeispiel „01.07.2021“.

Hier lernen wir schon nach Minuten, dass die AfD auch in ‚unserem‘ beschaulichen Lummerland kaum eine Sekunde auslässt, um mit Rassismus, Homo- und LGBTIQ*-Feindlichkeit gegen „die Altparteien“ und „das Establishment“ auszukeilen. Uta Opelt, Bundestagskandidatin der AfD für den Düsseldorfer Süden und zuletzt im Wahlkampf Arm in Arm mit dem vom AfD-Flügel getragenen Spitzenkandidaten Tino Chrupalla, will im Nachgang an die Fußball-EM etwa wissen, was die Beleuchtung des Düsseldorfer Stadions in Regenbogenfarben gekostet habe. Sie kann sehr flüssig vorlesen, das ist hübsch. Es lässt sich außerdem wunderbar Bingo spielen. Denn die Sprache der Rechten galoppiert durch jeden Satz. Opelts Stakkato ist ein Paradebeispiel für jedes Seminar für politische Bildung: völkisch-autoritärer Populismus, nennt die Politikwissenschaft Ideologie und Habitus der Alternative für Deutschland.

Zum Glück können wir die Tagesordnung im Livestream und in der Stream-Konserve aufgeschlüsselt einsehen. Dann finden wir schnell und unkompliziert auch weitere Punkte, zu denen die Rechten nichts zu sagen haben. Den Debatten zu folgen, zeigt uns aber, dass wir gut daran tun, ab und an den Kommunalpolitiker*innen und der Stadtverwaltung ganz grundsätzlich beim Arbeiten zuzusehen. Erfahren wir so etwas mehr darüber, wer dafür verantwortlich zeichnet, was vor unserer Haustür passiert.

Wenn wir denn eine haben, eine Haustür. So hören wir etwa, dass die vier Planstellen für städtische Mitarbeitende, die die sogenannte Wohnraumschutzsatzung (also die Einschränkung gewerblicher Vermietungen auf Zeit und ein Ende der Verengung des Wohnungsmarktes durch Zweckentfremdung von Wohnraum) durchsetzen sollen, schon seit Monaten unbesetzt sind. Menschen, die auf dem Düsseldorfer Wohnungsmarkt „draußen vor der Tür“ sitzen, dürften den Humor, mit dem die Stadtverwaltung in der Juli-Ratssitzung über ihre Personalpolitik spricht, nicht teilen. Ebenso wie sie den Wunsch der wohnungspolitischen Sprecherin der Grünen-Fraktion Antonia Frey nicht zwingend nachempfinden werden, dass die unerledigte Stellenbesetzung bitteschön nicht „eklatisiert“ werden solle.

Im Klein-Klein der Ratssitzung erfahren wir Details zu großen Rädern des städtischen Haushaltes und über das Engagement für die Reinhaltung von Parkgewässern. Auch Stilblüten birgt die Beobachtung der Politiker*innen und solcher, die im Rat das Wort erteilt bekommen. Schenkelklopfend wie kopfschüttelnd folgen wir etwa Torsten Lemmer, seinerzeit selbsternannter Aussteiger aus der Neonazi-Szene, in seinen Ausführungen darüber, dass ein Runder Tisch gegen Rechts die Bruderschaft Deutschland zu grölendem Gelächter, nicht aber zur Auflösung bringen werde. Viel effizienter sei es, sich die „Kameraden“ mal mit der Info zur Brust zu nehmen, wer von ihnen die Freundin des anderen … Den Sexismus sparen wir uns.

Anders als die meisten Ratspersonen brauchte Lemmer für sein Statement keinen Spickzettel. Ob er, wie andere der gewählten Vertreter*innen, bei einem Vorlesewettbewerb nun also reüssieren oder scheitern würde, bleibt darum leider offen. Der Form und des Inhalts nach sprach Lemmer frei, duzte reihum, griff in Geste und Vokabeln weit aus und hatte mehr als drei Minuten lang etwas zu sagen – ein Expertenbonus in Sachen Neonazismus, auch heute noch. Wir haben es geahnt.

Flapsig ließe sich – am Ende und an Stelle eines ersten Fazits – sagen: Wer ein paar Stunden Rats-Fernsehen guckt, wird feststellen, dass es auch im Rat der Stadt Düsseldorf „schön bunt“ ist, quer durch die Fraktionsfarben, von absichtsvoll vorgezeigten weißen Westen bis zur strategisch maskierten braunen Gesinnung ist alles mit an Bord.

Wichtig bleibt aber, dass wir uns selbst in den Stand setzen, zu interpretieren und zu analysieren. Schließlich gibt’s demnächst was zu wählen, da ist ein Stadtrat als Blaupause gerade so gut wie eine etwaig künftige Schwarz-Grüne Koalition im Bundestag. Lassen wir uns die direkten Eindrücke nicht entgehen, denken können wir wohl meistens besser – als der FOCUS ohnehin. Und eine Meinung haben wir auch – ganz transparent sogar.

Livestreams und Video-Dokumentationen der Ratssitzung der Stadt Düsseldorf finden sich zunächst jeweils am Tag der Sitzungen des Rates als Livestream, verlinkt über den Sitzungskalender unter https://duesseldorf.de/rat/sitzungskalender.html
Der Rat tagt im Plenum in nächster Sitzung am 16. September 2021 um 14 Uhr. Nach den Sitzungen ist das Video – strukturiert dokumentiert nach Tagesordnungspunkten über einen gewissen Zeitraum online verfügbar unter https://duesseldorf.de/rat/live/aufzeichnungen-live-stream.html

Zum Bündnis „Versammlungsgesetz NRW stoppen!“ empfehlen wir als Startpunkt die Homepage des Bündnisses:
https://nrw-versammlungsgesetz-stoppen.de
sowie für Kurzfristiges den Twitter-Kanal
https://twitter.com/VersGNRWstoppen