TERZ 10.21 – AM PRANGER
Einen „Stadtplatz der Kontraste“ nennt Düsseldorf auf seiner Website den Worringer Platz. Jetzt soll es dort allerdings uniformer zugehen. Der Inhaber einer Pizzeria versucht, die Suchtkranken mit einem Zaun auszusperren, und die Anwohner*innen fordern ebenfalls ein schärferes Vorgehen. Die TERZ sprach mit fiftyfifty-Streetworker Johannes Dörrenbächer über die angespannte Situation.
TERZ Warum hat sich die Situation am Worringer Platz so zugespitzt, hat das auch mit den „Aufwertungsmaßnahmen“ in der Umgebung des Hauptbahnhofs – Stichwort „Immermann-Höfe“ – zu tun?
Johannes Dörrenbächer Die Szene wird seit Jahren schon immer weiter vertrieben. Die Immermann-Höfe hat die Szene früher neben dem Worringer Platz als Treffpunkt genutzt. Nun hat man die Immermann-Höfe komplett plattgemacht, keine Aufenthaltsfläche für drogenabhängige Menschen gelassen, und jetzt knubbelt sich alles auf dem Worringer Platz.
TERZ Spielt es auch eine Rolle, dass es durch Corona weniger Hilfsangebote gibt?
Johannes Dörrenbächer Ja. Im Moment normalisiert sich alles gerade wieder, aber es war etwas, was die Anwohner*innen am Worringer Platz zu spüren bekommen haben, weil die Leute in den Einrichtungen weniger Platz finden konnten. Es gab Beschränkungen, wie viele Menschen hinein durften, teilweise blieb der Zutritt auch ganz verwehrt. Es gab auch keine Tagesaufenthaltsstellen mehr. Der Konsumraum wurde verkleinert und ließ nicht mehr so viele Personen gleichzeitig rein. Das hat auf jeden Fall zu Druck geführt innerhalb der Szene. Und auch dazu, dass mehr Leute draußen konsumiert haben.
TERZ Hat auch die Tatsache, dass jetzt andere Drogen konsumiert werden – mehr Crack statt Heroin – dazu beigetragen, dass sich die Lage verändert hat?
Johannes Dörrenbächer Ja, das wird oft so gesagt. Es ist immer ein bisschen phasenabhängig, was gerade so genommen wird. Es ist schon so, dass im Moment mehr Crack konsumiert wird, was die Leute wohl ein bisschen aggressiver macht, aber das würde ich jetzt nicht als den Hauptgrund dafür sehen, dass die Situation am Worringer Platz gerade so eskaliert.
TERZ Die Anwohner*innen haben das vorgebracht und betont, dass sie früher besser mit den Leuten klarkamen. Aber jetzt haben sie sogar einen privaten Security-Dienst engagiert. Kannst Du ihre Haltung irgendwie verstehen?
Johannes Dörrenbächer Ich glaube, wo es Einigkeit gibt, ist, dass niemand sagt: Dieser Platz ist ein schöner Platz. Auch die Leute aus der Wohnungslosen- und Drogenszene finden diesen Platz in der Regel nicht schön. Sie wissen nur nicht, wo sie sonst hingehen sollen. Insofern kann ich nicht verstehen, dass die Anwohner*innen hier jetzt nur auf Verdrängung setzen, denn das wird das Problem nicht lösen. Es würde – aus ihrer Sicht vielleicht erfreulicherweise – nur woanders wieder auftauchen. Die Menschen sind dadurch ja nicht weg. Und mich ärgert dann schon, dass man nur an die Geschäftsleute denkt. Für die Menschen, die da ihre Zeit verbringen, ist das auch nicht angenehm. Das liest man jedoch in kaum einer Zeitung.
TERZ Die Haltung des Pizza-Bäckers, der seine Geschäftsräume auf dem Platz großräumig mit einer Zaunanlage umgeben hat, kannst Du dann sicherlich auch nicht verstehen, oder?
Johannes Dörrenbächer Nein, das ist asozial, was der Pizza-Bäcker dort macht, einen Zaun aufzubauen und auf Verdrängung zu setzen. Welches soziale Problem ist in den letzten Jahren je durch Verdrängung und Vertreibung gelöst worden??? Er will die Leute loswerden, und das ist menschenverachtend.
TERZ Auf welchem Wege hat er eigentlich die Erlaubnis dazu bekommen? Ich habe mal gehört, der Oberbürgermeister soll direkt involviert gewesen sein?
Johannes Dörrenbächer Das ist im Nachhinein schwer zu rekonstruieren. Er war wohl im Oberbürgermeister-Büro, der hat aber nichts genehmigt, sondern ihn weitergeleitet an die Verwaltung. Und die haben ihm letzten Endes einen Zaun genehmigt, aber es ist nicht genauer formuliert worden, wie der Zaun konkret aussehen soll. Er hat dann einen Zaun gebaut, der so massiv und ausladend ist, dass er sogar die Sitzbänke des Platzes mit umfasst. Und das ist in der Form noch nicht genehmigt. Das Verkehrsamt könnte jetzt sagen: Wir nehmen diesen Zaun nicht ab. Und der TÜV müsste alles im Prinzip auch noch prüfen. Man kann durchaus feststellen: Der Zaun ist in seiner Art zu groß, zu massiv, er schränkt die Menschen zu sehr ein. Wir genehmigen ihn so, wie er jetzt da steht, nicht. Dem Mann wurde eine Außen-Terrasse genehmigt, die er auch einzäunen darf. Aber dass die jetzt so groß ausfällt, wurde nicht genehmigt. Und das ist auch unser Hauptvorwurf an die Politik: Die Stadt könnte jetzt ja auch noch intervenieren und etwas machen. Stattdessen sagen alle: Ja, man will die Leute nicht vertreiben, man müsste eher Hilfsangebote schaffen. Aber real passiert überhaupt nichts.
TERZ Aber der Rat hat sich mit der Sache beschäftigt.
Johannes Dörrenbächer Ja, im Stadtrat hatte die Links-Partei einen Antrag gestellt, dass dieser Zaun entfernt werden soll. Das haben die anderen Parteien so aber nicht mitgetragen. Man hat jetzt die Fragen, ob es einen neuen Konsum-Raum geben und der Zaun abgebaut werden soll, in die verschiedenen Gremien weitergeleitet.
TERZ Auch die Grünen stimmten gegen den Abriss, obwohl ihre Bezirksbürgermeisterin Annette Klinke sich gegen den Zaun ausgesprochen hatte.
Johannes Dörrenbächer Ja, die Grünen haben zu Anfang in der Öffentlichkeit gesagt, dass sie gegen diesen Zaun sind. Deshalb haben wir mit ihnen zusammen auch eine Pressekonferenz gemacht. Wir haben eigentlich gedacht, dass sie an der Seite der Menschen stehen, die dort vertrieben werden und sich im Stadtrat entsprechend verhalten. Stattdessen gibt es immer wieder Gespräche und Gespräche, und es wird geredet, aber real ist ja JETZT gerade die Not groß, und die Menschen werden vertrieben. Und deswegen muss auch jetzt etwas passieren.
TERZ Die Stadt spricht ja von einer „barriere-bildenden Möblierung“ und sagt: „Die Notwendigkeit einer solchen Einrichtung erscheint neben den künstlerischen Aktionen des ‚Glashauses’ zudem als elementarer Bestandteil einer wirksamen Sozialkontrolle“. Sie weist der Kunst ganz offensichtlich auch eine Rolle als Sozialkontrolleurin zu.
Johannes Dörrenbächer ‚Aufwertung’ klingt aus linker Perspektive ja immer eher negativ, aber dass man vielleicht einen schönen Platz schaffen will, ist nachvollziehbar und auch okay. Doch was aus Sicht der Stadt jetzt gerade ‚soziale Kontrolle’ und ‚Aufwertung’ bedeutet, ist halt Vertreibung.
TERZ Aber Du sagst, es ist noch ein schwebendes Verfahren?
Johannes Dörrenbächer Ja, es gab einen Runden Tisch mit Anwohner*innen, Sozialarbeiter*innen und Vertreter*innen von Politik und Verwaltung, und da hat der Verkehrsdezernent gesagt, dass der Zaun in seiner jetzigen Form eigentlich nicht akzeptabel ist und abgebaut werden muss. Aber passiert ist bis jetzt nichts.
TERZ Es stellt sich auch die Frage, ob das alles rechtlich haltbar ist. Die Pizzeria hat ja auch die sogenannten Stadtsofas, die einst Teil eines künstlerisch-architektonischen Gesamtkonzepts zur Umgestaltung des Worringer Platzes waren, mal eben mit eingemeindet und damit öffentlichen Raum in Beschlag genommen. Und die Verwaltung konnte die Entscheidung nicht alleine fällen. Sie musste erst einmal beim Ministerium für Heimat und Kommunales vorfühlen, weil das Land die Umbau-Maßnahmen mit Geldmitteln gefördert hat und es dort nicht nach Belieben Eingriffe geben darf. Laut Stadt galt es, die „Förderschädlichkeit“ abzuwenden. Weißt Du, um was es da genau ging?
Johannes Dörrenbächer Nein, nicht genau. Aber die Architektin, die den Wettbewerb damals zusammen mit einer Lichtplanerin und einem Künstler gewonnen hat, hat einen Offenen Brief an den Bürgermeister Josef Hinkel geschrieben. Darin forderte sie, dass der Zaun wegkommt, weil der Platz dadurch in der von ihr und ihren Kolleg*innen konzipierten Form nicht mehr nutzbar ist. Es ist genau formuliert worden, dass es ein Platz sein soll, der für alle zugänglich ist, wo sich alle Leute aufhalten können und wo man sich auch hinsetzen kann. Und das ist ja jetzt durch diesen Zaun nicht mehr gegeben. Darum erwägt sie auch eine Klage. Nur mal angenommen, man würde einen Zaun um ein anderes Kunstwerk in Düsseldorf stellen und es so verbauen. Das würde einen Aufschrei geben. Aber wenn Wohnungslose und arme Leute vertrieben werden, dann interessiert das eigentlich niemanden.
TERZ Ihr von fiftyfifty habt darauf mit einer Aktion reagiert.
Johannes Dörrenbächer Ja, wir haben gesagt: Okay, wir stellen dort jetzt als Protest-Aktion Bänke auf, direkt am Zaun, und protestieren damit nochmal gegen die Verdrängung und schaffen zudem real noch einmal eine Sitz-Möglichkeit auf der anderen Seite des Platzes. Die haben allerdings nicht lange gehalten, die Bänke, die meisten sind kaputt und entsorgt worden.
TERZ Wer hat sie kaputtgemacht?
Johannes Dörrenbächer Das weiß ich nicht.
TERZ Es ist ja jetzt eine ziemlich aufgeheizte Situation. Besteht die Gefahr, dass es bald wieder einen großen Polizei-Einsatz gibt wie letztes Jahr?
Johannes Dörrenbächer Die Prios-Einsatztruppe der Polizei (Prios = Präsenz und Intervention an Brennpunkten und offenen Szenen, Anm. TERZ), die da ein paar Mal durchgerockert ist und ziemlich brutal Leute gefilzt und festgenommen hat, gibt es in dieser Form nicht mehr. Ich glaube, dass die Polizei das, was da im Moment mit dem Zaun passiert, auch nicht gutheißt. Denn dadurch müssen sie häufiger ausrücken, und so richtig Lust haben sie darauf auch nicht. Letztlich wissen sie: das sind nicht die großen Dealer, wo Polizei-Maßnahmen was helfen. Es gibt mit Sicherheit bei der Polizei einzelne Leute, die Lust haben, stärker Präsenz zu zeigen, aber eigentlich zeigt die höhere Ebene keinen großen Willen, da mal richtig reinzugehen. Anders verhält es sich mit dem Ordnungsamt. Deren Mitarbeiter*innen sind dort schon gerne aktiv und verteilen Platzverweise.
TERZ Du hast eben schon den Runden Tisch erwähnt. Kann er für eine Beruhigung der Lage sorgen?
Johannes Dörrenbächer Es ist absolut in Ordnung und gut, wenn man darüber redet, aber wenn es eine Einigkeit darüber gibt, dass dieser Zaun nicht richtig ist, dann muss man den auch abreißen. Und wenn man sich einig darüber ist, dass man mehr Unterstützung leisten muss, dann muss man diese Unterstützung auch anbieten. Wenn aber diese Runden Tische und Gespräche nur dazu genutzt werden, Dinge zu vertagen und hinauszuzögern, finde ich sie tatsächlich eher falsch und kontraproduktiv. Ich habe manchmal das Gefühl, dass es eher ein Mittel ist, um uns hinzuhalten und eigentlich gar nichts zu machen. Und ja, es ist so: Drogenabhängige Menschen sind auch nicht immer einfach, und das sagt auch niemand. Aber es wird ja nicht besser dadurch, dass man die Leute vertreibt. Eine Möglichkeit wäre, dass der Pizza-Bäcker da auszieht. Die Drogen-Szene ist ja schon seit Jahren dort, und der Pizza-Bäcker weiß das. Er könnte woanders hingegen, und wir installieren dann ein Hilfsangebot in den Räumen für die Suchtkranken.
TERZ Michael Harbaum von der Drogenhilfe sagt, Drogensüchtige würden in der Stadtplanung nicht berücksichtigt. Ich finde auch, man sollte das machen, statt sie für unsichtbar zu erklären und Alarm zu schlagen, wenn sie doch irgendwo auftauchen. Warum schafft man nicht offensiv einen Raum für sie mit Dixi-Klos, Unterstell-Möglichkeiten und anderem?
Johannes Dörrenbächer Ja, es fehlt sowieso ein zweiter Drogen-Konsumraum, und warum ihn nicht dort installieren, wo die Menschen sich sowieso aufhalten.
TERZ Aber einige würden dann wohl sagen, dass das nur Anreize schaffe.
Johannes Dörrenbächer Das halte ich für absurd. Alternativ gibt es auch noch andere Ideen, wie etwa die, noch irgendwo anders einen zweiten Ort zu schaffen. Damit könnte vermieden werden, dass die Leute zu eng aufeinander hocken und es deshalb zu Konflikten kommt. Die Leute sind in einer angespannten Situation durch die Abhängigkeit, so dass es untereinander viel Streit gibt und Konflikte. Und wenn sich das alles ein bisschen entzerrt, würde mehr Ruhe reinkommen, glaube ich. Man könnte auch einen mobilen Konsumraum anbieten. Es gibt einiges, was man machen kann, um Druck aus dem Kessel zu nehmen und die Situation ein wenig zu verbessern, was am Ende ja auch den Anwohnerinnen und Anwohnern, die dort leben, zugute käme. Am Ende ist es auch egal, ob es jetzt der Worringer Platz ist oder irgendein anderer Platz: Aber die Menschen brauchen einen Ort, an dem sie sich aufhalten können.
TERZ Vielen Dank für das Gespräch!