TERZ 01.22 – JUBILIRIUM
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»Halte etwas anderes fest. Beschreibe die Welt mit Wissen und Analyse, in der Gesellschaftskritik transparent und eindeutig. Sei eine Antwort auf den Informationsdurst einer linken Gegenöffentlichkeit. Bleibe radikal unabhängig und offen. Formuliere das Utopische, das Mobilisierende – alternativ im Sound Deiner Texte, kollektiv in Deinen Arbeitsformen, autonom vor allen, die Dir eine Frikadelle ans Knie reden oder die Dir vorschlagen wollen, wie Du Deine „Effizienz‘ steigerst. Drucke auf Papier. Scheiß‘ auf Gewinne(n), Konkurrenzen und Wettbewerb.«
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Das könnte das Credo, der Leitspruch einer Zeitung wie der TERZ sein. In seiner kompakten Sammlung trifft ein Anspruch wie dieser auf viele Projekte in der Geschichte und Gegenwart der Arbeit linker Medienmacher*innen zu – für Hunderte von ihnen seit vielen Jahrzehnten. Nennen wir sie die Schätze unter den „alternativen Medien“.
Doch Achtung: Der Begriff „alternative Medien“ aus der Gründungszeit der TERZ und anderer, autonomer Presse-, Radio- und Video(laden)-Projekte ist heute kaum wiederzuerkennen. Im klassischen Gewand rechter Diskurspiraterie taucht er inzwischen vor allem im politischen Raum der Corona-Schwurbler*innen auf. Der Begriff der „alternativen Fakten“ als Umschreibung für dreiste und offenkundige Lügen geisterte im Kontext der Trump-Regierung durch die Alt-Right-Presse von Breitbart und Co., griff Raum auch über extrem rechte Meinungszusammenhänge hinaus.
Die Selbst- und Analysebeschreibung der „Alternativbewegung“ stand jedoch in der Zeit ihrer Entstehung im Westdeutschland der 1970er Jahre in ganz anderem Kontext. Sie symbolisierte sowohl eine emanzipatorische Alternative zum Kapitalismus, wie auch zur verknöcherten und autoritären Politik vieler damaliger linker Gruppen (und Parteien). Gerade die Umwelt- wie auch die feministische Bewegung können als die klassischen Alternativbewegungen gelten. In diesem Zusammenhang entstand auch der Begriff und die Bewegung „alternative(r) Medien“. Vielerorts ging es darum, eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen – oft lokal verankert, insbesondere dann, wenn linksradikale, antikapitalistische Perspektiven auf regionale Kontexte reagierten oder antworten wollten. So waren etwa Häuserkampf und Antifa zentrale Themen, denen „alternative Medien“ Raum gaben. Eine Stadt ohne Nazis und Kapitalist*innen, mit kollektiven, linken Räumen, mit Projekten des Wohnens und Lebens gegen Profit-Interessen, mit selbstorganisierten Orten autonomer Soziokultur – das waren nicht selten die Orientierungspunkte der Berichterstattungen und Dokumentationen alternativer Medien. Sie fehlten im „Mainstream“, kamen in der bürgerlichen Medienlandschaft nicht vor und wären unerzählt geblieben.
Mit der Idee, mit autonomer Stimme und mit den Themen der linksradikalen Bewegung gegenöffentlich laut und sichtbar zu werden, wird auch die erste Redaktion der TERZ gestartet sein. Das ist jetzt Jahrzehnte her: In diesem Monat wird die TERZ 30 Jahre jung! Ein Anlass zur Freude und für eine kraftvolle schwarz-rot und bunt-violette Gratulation.
Mit ihrer Gründung Anfang der 1990er Jahre lag die TERZ dabei fast im „Trend“. Denn in dieser Zeit entstanden viele autonome „Stattzeitungen“ und Regionalinfos. Manche hatten ihren Zenit allerdings bald wieder überschritten oder waren schon in die ersten Krisen geraten.[1]
Damals wie heute werden für eine solche Zeitung, wie für fast alle „alternativen“ oder linken Medien mindestens zwei Dinge gebraucht. Erstens (etwas bis durchaus Säckeweise) Geld, und noch mehr: die Leute, die die Zeitung produzieren, sprich die Texte schreiben und die redaktionelle Arbeit und die Herstellung machen und organisieren. Ist die Produktion geschafft, braucht es den viel wichtigeren Vertrieb. Angesichts immer spärlicher vertretener linker Buchläden sind eine gute Spürnase für passende Orte, für Kontakte zu Kneipen, Kinos, Bibliotheken, Studies und Multiplikator*innen jeder Art gefragt. In Fleißarbeit müssen die Ausgaben in Autonome Zentren und an Orte der Soziokultur gekarrt werden. Hier hat die TERZ den Vorteil, dass sie kostenlos ausliegt. Es müssen also keine Rechnungen gestellt und keine Einnahmen aus Verkaufsstellen oder Abonnements verbucht werden.
Ein großer Irrtum linker Medienmacher*innen ist es, durch Medien soziale Bewegungen schaffen zu können. Es ist genau umgekehrt. Soziale Bewegungen schaffen sich ihre Medien, wenn auch manchmal die Medien ihre Bewegungen überleben. Das ist anders bei der TERZ. Die Zeitung nimmt den Begriff des „Mediums“ ernst. In erster Linie ist sie Mittel der Kommunikation.
Nach einer Typologie alternativer Medien wäre die TERZ ein Titel der klassischen linken Gegenöffentlichkeit. Dabei enthält sie kaum Texte einer internen Reflexion, ist also kein Ort der (innerlinken) Selbstverständigung, sondern richtet sich mit Gegeninformationen und Recherchen an eine imaginierte Öffentlichkeit. Sie enthält größtenteils anonym verfasste Texte und erscheint in inzwischen 323 Ausgaben gedruckt. Interessanterweise ist sie kein Medium der für die klassische Alternativpresse typischen, sogenannten „Betroffenenberichterstattung“, in der Bürgerinitiativen und Gruppen selbst über ihre Themen schrieben. Die meisten Texte in der TERZ orientieren sich am journalistischen Arbeiten. Reportage und Kommentar, Dokumentation und Mobilisierungen oder Infos zu Terminen stehen so seit Jahren gut nebeneinander. Ihre Klammer ist fast immer der Bezug zum Lokalen: Was passiert in „Düsseldorf und Umgebung“? – wie es die „Stattzeitung für Politik und Kultur“ in ihrem Untertitel in den Blick nimmt. Nicht zuletzt ist die TERZ wirklich unabhängig und erscheint crossmedial, da alle Texte jeder Ausgabe mit dem gedruckten Erscheinen online gestellt werden.
Die lokale Orientierung alternativer Medien, wie die TERZ sie lebt, ist mittlerweile ziemlich out. Auch als Printversion werden Projekte wie die TERZ spürbar seltener. 2006 hatten zwei Drittel aller Titel alternativer Medien einen überregionalen Fokus. Das wissen wir, weil mit dem Handbuch der ALTERNATIVmedien 2011/2012 die Landschaft der alternativen Medien in Deutschland, Österreich und der Schweiz inzwischen sehr genau abgebildet ist.[2] Das Buch ist eine erweiterte und aktualisierte Fortsetzung des Verzeichnis der AlternativMedien 2006/2007. So lassen sich im Laufe der Zeit auch Veränderungen nachzeichnen, mit großer Dynamik. Im Handbuch zählten wir als Herausgeber*innen und Autor*innen vor nun zehn Jahren 665 Titel deutschsprachiger Printmedien, darunter 89 aus Österreich und 104 aus der Schweiz. Im Vergleich zu unserer Zusammenstellung fünf Jahre zuvor konnten wir für nur 71 Titel aus der BRD feststellen, dass alles beim Alten geblieben war. Über ein Viertel aller Publikationen, die wir 2006/2007 in unserer Sammlung dokumentieren und beschreiben konnten, hatte seine Printausgaben auf „online“ umgestellt – oder die Arbeit komplett beendet.
Zugleich waren etliche Zeitungen Anfang der 1990er Jahre, als die TERZ sich vor nun 30 Jahren gründete, selbst schon ein gutes Dutzend Jahre alt. Als wir 2006 nachfragten, erfuhren wir von knapp 160 Zeitungsprojekten, die in der Zeit zwischen 1976 und 1990 entstanden waren und noch erschienen. Die TERZ ist also in guter Gesellschaft. Linke und linksradikale Zeitungen und Zeitschriften wie analyse und kritik (zum 50sten Alles Gute!), Graswurzelrevolution, interim, swing – autonomes Rhein-Main-Info, die wildcat oder die Düsseldorfer wir frauen sowie Fachzeitungen und -Magazine wie das Antifa-Infoblatt, CILIP – Bürgerrechte und Polizei oder die CONTRASTE sind nur einige wenige Beispiele der lebendigen Urgesteine alternativer Medien – so alt wie oder älter als die TERZ. Wie gut, dass es sie gibt.[3]
Wie diese Zeitungsweggefährt*innen erscheint die TERZ gedruckt. Ein Anachronismus, oder? Braucht man das, in Zeiten von Twitter und Facebook? Mobilisierungen zu Demonstrationen oder Hinweise auf Lokales finden heute in den sozialen Medien statt. Selbst die eingefleischtesten Lokalredaktionen bürgerlicher Medien setzen heute mehr und mehr auf E-Paper.
Das Internet hat unzweifelhaft die Bedeutung von Printmedien verringert. Politisches Handeln entsteht aber nicht in virtuellen Räumen, sondern an realen Orten. Es braucht reale Akteur*innen, erfordert Begegnung statt Klickzahlen, Bildung statt Halbwissen oder Polemik. Printprodukte können angefasst werden, liegen auf Küchentischen, auf dem WG-Klo oder im linken Buchladen.
Die TERZ ist aus der Zeit gefallen. Aber solche Projekte werden gebraucht. Sie sind eigene Medien, unabhängig von unkontrollierbaren Technologiekonzernen mit Sitz im digitalen Nirwana.
So bleibt, weiter dafür zu streiten, dass der Grund für die Existenz vieler linker Medien irgendwann entfallen ist, die Abschaffung aller Verhältnisse, in denen Nazis und Wohnungsnot, soziale Ausgrenzung, Rassismus und Profitgier, Polizeigewalt und Abschiebeknäste unsere Städte und Dörfer kälter machen, gelungen ist. Das Patriarchat und der Kapitalismus abgeschafft.
Dann könnten wir – statt linke und alternative Medien zu produzieren – Spazierengehen oder mit Freund*innen kochen und reden. An einem großen Tisch. Über dies und das.
Bernd Hüttner
[1] Bernd Hüttner: Die Krise der autonomen Medien, in: Contraste 109 (Oktober 1993), nachgedruckt in interim 259, swing November 1993 und radikal 148. Einige Gedanken zur TERZ und zum Kontext ihrer Entstehung 1989/90 sind aus Anlass der 300. Ausgabe im Dezember 2019 publiziert worden: https://terz.org/2019/12/dreihundert-nummern-terz.html
[2] Herausgegeben von Bernd Hüttner, Christiane Leidinger und Gottfried Oy Neu-Ulm 2011: AG SPAK Bücher, 279 Seiten, 22 EUR
[3] Eine aktuelle Bestandsaufnahme aller existierenden Titel gibt es derzeit nicht. Am ehesten nutzbar ist die dataspace-Datenbank, mit veralteten Listen der Abonnements der freien Archive, meist maximal 100 Titel: siehe https://ildb.nadir.org