„… dass in passender Weise an sie gedacht wird“

Mit Porträts und biographischen Skizzen erinnert eine Dokumentation der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ an politisch Inhaftierte in der Nachkriegszeit „auf der Ulm“ in den 1950er und frühen 1960er Jahren.

Im Juni 2020 schrieb Hanna Eggerath aus Erkrath– manchen bekannt in ihrem Engagement für den dortigen Geschichtsverein und als Autorin lokalhistorischer Bücher – einen Leserinnenbrief an die NRZ. Die Zusendung bezog sich auf die Pläne der Bezirksvertretung für Derendorf, auf dem Gelände der ehemaligen Justizvollzugsanstalt an der Ulmenstraße einen Gedenkort zu errichten. Mit einer Tafel, so hatte zuvor die Rheinische Post am 4. Juni 2020 berichtet, wolle man an die „in der nationalsozialistischen Diktatur zu Unrecht verurteilten“ gedenken – mit Unterstützung der Stadt, der Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf sowie der Eigentümerin des Geländes, der Ratinger Bauunternehmengruppe „Interboden“.

Hanna Eggerath schreibt an die NRZ: Mehr als angemessen sei es, an die Geschichte derjenigen zu erinnern, die in der Zeit des Nationalsozialismus von den Nazis als politische Gegner*innen verfolgt und in der Ulmer Höh‘ inhaftiert waren. Für Eggerath hat das auch ein persönliches Moment, denn: „Meine Mutter war dort sechs Monate lang inhaftiert“, schreibt sie. Ihr Vater sei in dieser Zeit im KZ-Börgermoor gefangen gewesen. „Ich brauche wohl nicht zu sagen, dass sie keine Kriminellen waren. Ihr einziges ‚Verbrechen‘ war – sie waren Kommunisten.“

Keine „Stunde Null“

Aber Eggerath spricht auch an, was zur Geschichte der Ulmer Höh‘ als Ort lebendiger Gedenk- und Geschichtsarbeit ebenso dazugehört. Denn auch nach 1945, in den 1950er Jahren hat es „wieder eine große Verhaftungswelle“ gegeben. In der Ulmer Höh‘ saßen damals erneut Kommunist*innen ein, nicht wenige von ihnen Menschen, die der Freien Deutschen Jugend Westdeutschlands angehörten oder mit ihr in Verbindung gebracht wurden. Jenem kommunistischen Jugendverband „FDJ“, der im Dezember 1945 mit den ersten westdeutschen Verbänden in Düsseldorf von Max und Uschi Rubinstein (geb. Littmann) ins Leben gerufen worden war. Keine sechs Jahre später wurde die FDJ mit der Begründung, verfassungsfeindlich zu sein, in Westdeutschland verboten. Die KPD ereilte dieses Schicksal 1956. Damit waren die Mitglieder dieser Organisationen wenige Jahre nach dem Ende des Faschismus wieder einer Verfolgungs- und Ausgrenzungspraxis ausgesetzt. Und wieder landeten sie in der Ulmer Höh‘ in Haft, wie vor 1945. Manche waren die Kinder der damaligen Häftlinge: „zum Beispiel ich und viele meiner Freunde“, so Eggerath, die klar formuliert: „Ich habe ebenfalls kein Verbrechen begangen, ich war nur Mitglied der FDJ.“

Kriminalisiert

Die Geschichte dieser Menschen, die in den 1950er Jahren in der Justizvollzugsanstalt Ulmer Höh‘ einsaßen, erzählt nun der Band „Politisch Inhaftierte in der Nachkriegszeit ‚Auf der Ulm‘“. Ihre Dokumentarin: Hanna Eggerath. In Archiv- und Recherchearbeit, vor allem aber im persönlichen Gespräch mit den Angehörigen, Kindern und Freund*innen ihrer damaligen Weggefährt*innen, die wie sie selbst in Haft gewesen waren in der Ulmer Höh‘, erschließt sie ein Bild der Kriminalisierungsstrukturen. Ebenso gibt ihre Dokumentation durchaus Eindrücke darüber, wie fest entschlossen Menschen zusammenstehen, sich organisieren und aufbegehren, denen eine bessere denn eine militarisierte, kapitalistische Welt und Gesellschaft am Herzen liegt.

Auf knapp siebzig Seiten finden wir skizziert, mit welchem Verfolgungsdruck im Nacken die Jugendlichen und jungen Erwachsenen in den 1950er Jahren etwa in der FDJ ihrer politischen Überzeugung folgten. In 28 biographischen Skizzen blickt Eggerath dabei auch auf die Kindheiten und Berufe der Porträtierten, auf das Familienleben, ihren politischen Werdegang und schließlich auf die Zeit ihrer Verfolgung durch eine politische Justiz. Im Archiv überlieferte Gerichtsakten geben Auskunft über die staatliche Perspektive auf Haftgründe und Prozessurteile. Manche autobiographische Veröffentlichung oder zugängliche Nachlassbestände unterstützten die Spurensuche. Bei einigen ist heute unbekannt, ob sie noch leben oder wohin es sie nach der Prozess- und Haftzeit verschlagen hat.

Der Band gibt Einblicke in die Repressionsgeschichte zu 22 Männern und sechs Frauen. Darunter jüngere, wie Eggerath selbst, die 1954 als 20-Jährige nach der Untersuchungshaft „auf der Ulm“ zu einer Bewährungshaftstrafe verurteilt wurde. Zuvor hatte eine Hausdurchsuchung bei ihr und bei vier anderen Menschen der politischen Strafjustiz Anlass geboten, sie wegen „Geheimbündelei“ und „als Rädelsführerin einer Vereinigung, der FDJ“ anzuklagen, deren „Zwecke und Tätigkeit sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik“ richte, so die Prozessunterlagen. Bei dem damals 27-jährigen Werner Wexel schien eine Tasche mit FDJ-Zeitungen, vermeintlich aus seinem Besitz, ausreichend für eine insgesamt achtmonatige Haftzeit. Eggerrath blieb eine längere Hafterfahrung erspart, weil sich eine Lehrerin für die Gymnasialschülerin einsetzte. Anders erging es einer Gruppe von acht Personen, darunter auch die spätere Düsseldorfer Ratsfrau und Engagierte in der Frauenbewegung: Gundel Kahl. 1962 hatten sie und ihr Mann Franz sich mit Freund*innen – offenkundig unter Beobachtung – in der Wohnung von Heinz Conrads Eltern getroffen. Der Untersuchungshaft folgten lange Haftstrafen. Conrads, der schon 1958 beschuldigt worden war, mit den Düsseldorfer „Falken“ ins Erzgebirge zu einem Winterlager der Arbeiterjugend auf das Gebiet der DDR gereist zu sein, war insgesamt beinahe elf Monate „auf der Ulm“ in Haft.

Gegen Nazis und Militaristen

Über die Zeit der Inhaftierung oder über die Haftumstände im Knast auf der Ulmer Höh‘ erfahren wir in Eggeraths Band kaum etwas. Außer: Pakete mit Geschenken erreichten die Inhaftierten, mancher Brief aber, der aus der Haft heraus verschickt wurde, blieb in der Postprüfung hängen. Leider fehlt uns als Leser*innen auch der Blick auf die Verbundenheit der porträtierten Personen. Als Nachgeborene können wir nur ahnen, dass es sich um Menschen handelte, die in politischer Freundschaft miteinander verbunden und im Austausch waren, in Düsseldorf und darüber hinaus.

Dass sie eine mitunter gemeinsame Praxis ihrer politischen Arbeit hatten, liegt nahe. So erfahren wir in der dokumentarischen Skizzen zur Geschichte von Peter Baumöller (damals 22 Jahre alt, zeitlebens Kommunist und später Gewerkschafter, siehe auch TERZ 04/2022) etwa, dass er als einer von mehreren am 12. Juni 1950 in polizeiliches Gewahrsam gesteckt wurde. Ihm und acht anderen Mitgliedern der FDJ wurde ein Jahr später der Prozess gemacht, weil sie im Sommer zuvor eine öffentliche Veranstaltung der FDP in der Düsseldorfer Altstadt gestört und mit einem Transparent der FDJ die Bühne gestürmt hätten. Dabei hatten sie den Redebeitrag von Hasso von Manteuffel erfolgreich unterbunden. Manteuffel, vormals General der Panzerdivision der Wehrmacht, war damals Teil jener Altnazi-Runde innerhalb der FDP gewesen, die später als sogenannter „Naumann-Kreis“ mit einer Renaissance des historischen Nationalsozialismus liebäugelte. 1950 lebte von Manteuffel in Neuss und mauserte sich zum militärpolitischen Berater der Bonner Republik.

2008 schildert Peter Baumöller in der DKP-Zeitung „Unsere Zeit“ rückblickend zu diesem Protest-Tag: „Wir bekamen je vier oder fünf Monate Gefängnis“ für diese „Widerstandsaktion“. Der „Kriegsverbrecher Hasso Ekkart von Manteuffel“ habe an diesem Frühlingstag im Mai seine „Rede an die ,Frontgeneration‘“ abbrechen müssen. „Später“, berichtet Baumöller, „griff man uns acht aus mehreren hundert Demonstranten heraus und machte uns den Prozeß. Daß alle acht Angeklagten ausnahmslos FDJ-Mitglieder waren, deutete darauf hin, daß es sich bei diesem politischen Verfahren um eine Einschüchterung der jungen Generation handelte.“

Gestern – heute – morgen

Diese Generation Düsseldorfer Kommunist*innen ist dann auch in der Dokumentation „Politische Inhaftierte in der Nachkriegszeit ‚Auf der Ulm‘“ sehr präsent. Die Publikation unterscheidet dabei nicht, wie alt, wie erfahren im politischen „Geschäft“, wie bürgerlich oder wie sehr „Arbeiterklasse“ die Gefangenen waren. Sie gewichtet nicht, die Porträtierten werden in alphabetischer Reihenfolge präsentiert. Diese respektvolle Darstellung bleibt uns aber den Blick auf Strukturen schuldig. Aber: Vielleicht ist das auch gut so. Denn auch 75 Jahre später wissen wir um so mehr: Keine Namen, keine Strukturen! Repressionen gegen linke Zusammenhänge und Akteur*innen sind weder heute noch hierzulande eine Seltenheit. Rarer wird hingegen wohl, mit welcher Konsequenz wir heute für unsere Sache einstehen und aktiv bleiben. Hanna Eggeraths Dokumentation macht hier ausdrücklich Mut und regt an: angemessen zu handeln – angemessen zu erinnern. Nicht zu vergessen.

Fanny Schneider

Politisch Inhaftierte in der Nachkriegszeit „Auf der Ulm“.
Eine Dokumentation von Hanna Eggerath, hrsg. von der VVN-BdA – Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschist*innen – Kreisvereinigung Düsseldorf, Düsseldorf: Selbstverlag 2020.

Die Dokumentation (im Format DIN A4) ist für eine Spende von mindestens 5 EUR zu erhalten unter: VVN-BdA Düsseldorf – info[at]vvn-duesseldorf[dot]de oder Postfach 250208, 40093 Düsseldorf

Für die Geschichte der Ulmer Höh‘ im NS außerdem:
Bastian Fleermann: Ulmer Höh‘. Das Gefängnis in Düsseldorf Derendorf im Nationalsozialismus. Düsseldorf: Droste 2021, 22 EUR.