TERZ 05.22 – MUSIC
What the fuck, ich habe mir Corona eingefangen, und die ersten beiden Tage waren kein Spaß. Da lag ich richtig flach, aber langsam geht es besser, und jetzt sitze ich bei strahlendem Sonnenschein über Ostern zu Hause fest. Da machste nix, aber „The Walking Dead“, die sonst ja gerne durch Oberbilk ziehen, lassen sich auch nicht blicken und können daher leider nicht mit der „Spezial“-Wasserpistole beschossen werden, ärgerlich. Ich habe also viel Zeit und höre durch Zufall am Ostersonntag, morgens um 11:30 Uhr, auf WDR 5 ein inspirierendes Special von Jan Tengeler über Ambient-Musik. Das Special ist auch noch in der Mediathek erhältlich, mit einem sehr guten Musikbonusprogramm.
Im Anschluss die elektronische Ecke durchstöbert und über Ancient Plastix auf Maple Death Records gestolpert. Maple Death Records wurden 2015 in Bologna, Italien gegründet und sind inzwischen in London angesiedelt. Ancient Plastix ist ein Alias des Liverpooler Produzenten, Komponisten und Musikers Paul Rafferty. Dieser nahm sein selbstbetiteltes Debüt Album im Jahr 2019 mit einem Tascam 414 (ein Portalstudio), einem billigem Yamaha-Synthesizer und einer kleinen Sammlung Gitarrenpedalen auf. 2020 zuerst als Tape erschienen, erblickte die Aufnahme dann Ende 2021 auf Vinyl das Licht der Welt, und zum Glück erreichte ein Exemplar dann auch noch Düsseldorf und fiel in meine Hände. Ein Kleinod, dass wie ein Schwarze-Serie-Soundtrack klingt, der in nebelverhangenen Wäldern und Industrielandschaften gleichzeitig spielt. Das habe ich von der Labelseite geklaut, passt aber wirklich von der Beschreibung her. Und warum schlecht selber formulieren, wenn andere das besser machen. Hört auch mal in den übrigen, sehr vielversprechenden Output des Labels hinein. Mal schauen, was noch so in Düsseldorf erhältlich ist.
Ein weiteres ruhiges, verspieltes Album ist Oak Corridor von Troth, erschienen auf Knekelhuis. Troth kommen aus Newcastle in Australien, das Label Knekelhuis ist in Amsterdam angesiedelt. Oak Corridor ist das zweite Album des Duos, bestehend aus Amelia Besseny und Cooper Bowman. Amelia Bessenys sphärischer Gesang, getragen von Minimal-Synth-Wave-Soundscapes, untermalen lauschige Frühlingsabende, Anspieltipp: The Slowest Dawn.
Experimentell geht es auf Next Is Now von Vivien Goldman zu, erschienen auf Cadiz Music. Vivien Goldman wurde 1954 als Tochter jüdischer Flüchtlinge in London geboren, wohnt aber mittlerweile in Manhattan. Sie studierte Literatur und schreibt unter anderem für den NME, Sounds oder den Melody Maker über Reggae, Punk, Post Punk und hat für ihr Buch „Revenge Of The She Punks“ sehr gute Kritiken eingeheimst. Außerdem ist sie seit Anfang der 80er Jahre selbst musikalisch aktiv. Next Is Now ist ihr erstes Album und für Fans von Reggae, Dub und Post Punk interessant. Dem Album ist anzuhören, dass Vivien Goldman schon mit Massive Attack oder den Chicks On Speed aktiv war. Musikalisch wird sie unterstützt von Youth aka Martin Glover, der auch schon Killing Joke oder The Orb produziert hat, dementsprechend ausgefeilt klingt das ganze Album.
Wir bleiben ruhig, werden aber gitarriger und widmen uns Calexico und ihrem neuesten Werk El Mirador, wie gewohnt veröffentlicht auf City Slang. El Mirador ist das zehnte reguläre Studioalbum von Calexico, und montagnachmittags bei strahlendem Sonnenschein zwischen Zimmerpalmen sitzend, wähnte ich mich dann wirklich bei Calexico im staubigen Garten in Tucson, Arizona. Das kalte Schumacher schmeckte besonders gut. Wüstengitarren, Mariachi-Bläser und die Unterstützung der guatemaltekischen Songwriterin Gaby Moreno, Cumbia-Fan, was willst Du mehr? Hört euch den Opener El Mirador auf Seite A an und Ihr wisst, was ich meine. Anwärter auf das Sommeralbum 2022.
Wegen Putins Wahnsinn habe ich in der letzten Ausgabe darauf verzichtet, Spoon mit Lucifer On The Sofa zu besprechen. Diesmal auf Matador erschienen. Wie gewohnt zeigen Spoon keine Ausfälle. Britt Daniels Songwriting und Gesang tragen Spoon seit mehr als 25 Jahren durch die Indie- und Alternativrockszene, und ich kann mich an kein schlechtes Spoon-Album erinnern. Anders gesagt, ein schlechter Spoon-Song ist immer noch besser als der durchschnittliche Rest, den andere Indie-Bands sonst so fabrizieren. Ende, aus, basta und darum Seite B, Song eins, Feels Alright, und nicht vergessen, nach dem Track Lucifer On The Sofa, dem letzten auf Seite B, die Nadel vom Teller zu nehmen (-. Und wer mir beantwortet, was ich damit meine oder was da passiert, kriegt ein Bier oder auch zwei ausgegeben!
Endlich erhältlich ist auch das zweite Album Migration von Bossk auf Deathwish. Schon länger angekündigt, hat es sich gezogen, bis das neue Werk gepresst war. Post Sludge Metal mit Shoegaze-Einflüssen aus Ashford im United Kingdom. Eine sehr böse und sich langsam entzündende Granate, die sich in die Gehirnwindungen frisst. Meine Anspieltipps sind Menhir mit Johannes Persson von Cult Of Luna als Gastsänger und HTV-3.
Da wir gerade bei Cult Of Luna sind, die Post-Metal-Helden aus Schweden haben dieser Tage Ihr achtes Album The Long Road North via Metal Blade Records und dem eigenen Label Red Creek rausgebracht. Neun dynamische, brutale Songs mit tollen Soundcollagen, teilweise mit Gesang oder instrumental, aber immer mit den unverkennbaren Gitarrenwänden. Von der Stimmung her fast zu spät für die sonnigen Frühlingstage, trotzdem hat mir der düstere Sound über die Ostertage die Quarantäne versüßt.
Die! Die ! Die!, die Noise-Rock-Heroen aus Auckland, Neuseeland, haben ihr siebtes Album This Is Not An Island Anymore diesmal auf ihrem eigenem Label Records Etcetera herausgebracht. Eine Band, die ich zum ersten Mal vor über 15 Jahren live gesehen habe und die mich trotzdem mit jedem Album aufs Neue begeistert. So auch diesmal wieder mit This Is Not An Island Anymore: der Wall of Noise, den Die! Die! Die! produzieren, erdet einem auf jeden Fall. Mein Favorit ist Losing Sight, Keep On Kicking!
Meinen musikalischen Horizont gehörig erweitert habe ich mit der Kompilation British Mod Sounds Of The 1960s auf Demon Records, zusammengestellt von Eddie Piller, dem DJ, Radio-Moderator und Gründer von Acid Jazz Records. Eine Box, die 100 Songs auf 6 LPs in bedruckten Hüllen enthält. Gefühlt kannte ich von den 100 Interpret*innen circa ein Drittel. Abgerundet wird die Box mit einem Booklet, das Liner Notes, Fotos, Poster, Original-Cover und Label-Nachdrucke enthält. Dazu ein Einleger mit einem Autogramm von Eddie Piller. We are the Mods, we are the Mods, we are, we are, we are the Mods, ich bin gerade live in Brighton dabei, nur nicht so gut gekleidet!
Als letztes widme ich mich den Anchor Brakes aus Düsseldorf. Ihre erste EP Leinen Los wurde veröffentlicht auf Hinterhof Produktionen, einem Düsseldorfer Netzwerk bestehend aus Musiker*innen, Künstlern*innen, Designern*innen und anderen Kreativschaffenden. Aber widmen wir uns der EP: vier Deutschpunk-Songs oder doch eher Punk mit deutschen Texten, melodisch und einfühlsam. Macht die Leinen Los auf Seite 1 beim Titeltrack und ihr wisst, was ich meine. Innenhülle mit Texten und ein Einleger, der uns verdeutlicht, was in 20 Sekunden – solange dauert es, um das Intro zu lesen – tagtäglich alles so schiefläuft. Für Fans von Kopfecho, Korsakow, Broilers und den Toten Hosen.
An dieser Stelle dann auch Alles Gute zum Vierzigjährigen an die Toten Hosen, vielen Dank für euer Engagement gegen den alltäglichen Wahnsinn an dieser Stelle.
Bis nächsten Monat. Dann mit einem Rückblick auf den Record Store Day 2022, und vielleicht kann ich schon über die neuen Veröffentlichungen von 100blumen und den Joseph Boys berichten.
Euer Oberbilker