„ ... den Rücken beugt man nicht“

Begegnungen mit der Soziologin und aktivistischen Intellektuellen, mit der Feministin Gisela Notz – auch in Düsseldorf. Ein Geburtstagsgruß zum 80sten.

Im April 2022 feierte Gisela Notz in Berlin ihren 80. Geburtstag. Wir gratulieren von Herzen!

Auch hier am Rhein beflügelt sie viele Menschen. Gisela Notz motiviert und steckt an. Allein im Umfeld der TERZ gibt es eine nicht eben kleine Zahl von Leuten, die mindestens ein Buch von ihr im Regal stehen haben. Und: es gelesen!

Das sind etwa Menschen, die sie als Beirätin in der „Bewegungsstiftung“ kennengelernt haben – einer Unterstützungsstruktur, die aus Spenden oder Erbschaften Bewegungsarbeiter*innen unterstützt in ihren Projekten von A wie „Anti-Kohle-Proteste“ in NRW bis Z wie die antimilitaristische Kampagne „Ziviler Hafen“ (TERZ 12.2021). Wir waren und sind Mitautor*innen in Zeitungen und Zeitschriften wie der CONTRASTE oder der „beiträge zur feministischen theorie und praxis“, bei denen Gisela Notz über zehn Jahre lang Redakteurin war. Bei BiBaBuZe haben wir seinerzeit das Buch „Warum flog die Tomate“ gekauft, Giselas Band über die autonome Frauenbewegung der 1970er Jahre. Wir wollten wissen, ob wir uns gegen Mackertum und Ungleichheitspraxen in der linksradikalen Szene auch hier vor Ort ein wenig Gemüse als Wurfmaterial zurechtlegen sollten – oder ob wir damit von gestern wären.

Vor fünf Jahren, zu ihrem 75. Geburtstag, hat sie uns aus der Seele gesprochen und uns ermutigt, indem sie über ihre Einschätzung zum Wert von Geradlinigkeit im Gepäck von Arbeiter*innen sprach: „Immer zu seinen Positionen stehen“, nicht „den Rücken beugen vor Höhergestellten“, das bedeute Geradlinigkeit für sie, sagte Gisela Notz in einem Interview in „analyse & kritik“: „Es ist ja nicht so, dass man jemanden nicht respektiert – aber den Rücken beugt man nicht!“ Nie habe sie als Kind in einem Arbeiter*innenhaushalt gesagt bekommen, „dass wir etwas Minderwertiges wären“. Das sei die Unterstützung gewesen, die sie von zuhause mitgenommen habe. Solidarisch seien sie miteinander umgegangen, erinnert sie 2017.

„Texte für Gisela Notz“

Nun, zu ihrem 80sten Geburtstag, warten die Autor*innen und das Herausgeber*innen-Kollektiv eines Sammelbandes mit einer ungewöhnlichen Gratulation auf, die als Überraschungspräsent „Texte für Gisela“ zusammenbringt. Inspiriert von Gisela Notz‘ Denken, Forschen und Publikationen. Inspirierend in der Neugier und Lust, ihre Texte zu lesen.

Starke Erkenntnismomente, Lese-Erlebnisse und Begegnungsorte beschreiben die vierzehn Beiträge von „Feministische Theorie nur mit feministischer Solidarität – Texte für Gisela Notz“. Dabei greifen sie – leicht gewandelt auch im Titel des Bandes – auf, was Gisela Notz in einem Interview bereits 2017 stark machte: „Feminismus“, das „ist ja nicht nur Theorie, sondern auch soziale Bewegung“. Wünschen würde sie sich zudem, dass feministische Solidarität „wieder ein Begriff“ und dass „feministische Theorie wieder mit feministischer Praxis verbunden“ werde (S. 27 ff.).

In dieser Trias begegnen die Autor*innen den Gedanken von Gisela Notz. Sie beziehen sich auf ihre Publikationen, schreiten Thesen und Schwerpunkte ab: zum Begriff und zur Praxis (feministischer) Solidarität, zum Wesen und Herrschaftsgefüge von bezahlter und unbezahlter Arbeit, zu Gemeinwirtschaft oder zur diachronen Perspektive auf Konzepte der „neuen Mütterlichkeit“ in der Zeitgeschichte. Zur Kritik des Familismus. Zur Tomate, die im September 1968 in Frankfurt beim Delegiertenkongress des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) ebenso quer wie akzentsetzend durch die damaligen Gegenwarten linker politischer Praxis flog. Gemeint und getroffen waren Strukturen, die sich seinerzeit nicht die Mühe machten, die Anliegen von Frauen zu hören oder gar einzubeziehen in selbstkritische Perspektiven auf Sprechpositionen und Privilegien linker Akteur*innen.

Unsere Solidarität gegen ihre Krisen?

Wiederholt blitzt durch die Beiträge die klare Analyse, dass viele der feministischen Kämpfe aus ihrer Notwendigkeit in der Sache heraus bis heute weiter bestehen, dass sie zugespitzt aktualisiert scheinen in allen Bereichen einer multiplen Krise als „Krise der Solidarität“ (S. 14 ff.). Sie haben eine lange Geschichte oder müssen immer wieder, mitunter neu geführt werden.

So blättern die Autor*innen Beispiele auf, deren Erforschung etwa für eine kritische Wissenschaft und eine feministisch-widerständige Praxis auch heute Relevanz haben. Besonders beeindruckend daran ist: Wie sie Gisela Notz stets als positioniert und transparent im Ort ihres Sprechens beschreiben, zeigen die Autor*innen selbst jeweils auch ihren eigenen Standpunkt auf. So wandern wir mit manchem Fremdwort im Gepäck lesend entlang akademischer Perspektiven auf Konzepte feministischer Solidaritäten. Wir befragen uns auf dem Weg einer Kritik des Familismus zu unseren eigenen „Anführungszeichen“-Begriffen, mit denen wir alternative Ideen und Alltage von Gesellschaft und Zusammenleben zu oft und ohne Not als „besonders“ markieren (Bini Adamczak in „Familismus als Skandal“). Wir betrachten die Geschichte der Hexenverfolgung mit der Brille einer selten fokussierten feministischen Kritik politischer Ökonomien (Gregor Kritidis) oder fragen uns, ob wir als weibliche Wissenschaftler den Elfenbeinturm der Akademien als Sehnsuchtsort nicht lieber vom Sockel stoßen denn erobern möchten (Mareen Heying und Anna Schiff in „Luxus für Alle“). Nicht zuletzt weist uns die Geschichte von Claudia Jones („Schwarze Kommunistin und Wegbereiterin intersektionaler Politik“, so der Untertitel des Beitrages von Janette Otterstein) darauf hin, dass wir selbstkritisch aufmerksam sein müssen für den Tellerrand unserer Perspektiven. Darauf, dass so Vieles (noch) fehlt.

„Texte für Gisela“ ist ein solidarisches, ein freund*innenschaftliches Buch. In seinen Beiträgen bewegen wir uns auf der Landkarte von Gisela Notz‘ themenbreiten Forschungen und Positionen und folgen ihren Blicken auf feministische Praxen. In der Lektüre der überwiegend kurzweiligen Beiträge schmunzeln und grübeln wir, notieren uns, was wir als Nächstes lesen und wo wir mehr erfahren möchten. Immer hören wir dabei Giselas unermüdliche, gedankenöffnende Rückfragen, sehen uns durch die Buchstaben hindurch im Dialog mit einer Wegbereiterin im eigentlichen Sinne.

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Redaktionskollektiv aus dem Gesprächskreis Geschichte der Rosa-Luxemburg-Stiftung (Hg.): Feministische Theorie nur mit feministischer Solidarität. Texte für Gisela Notz
Neu-Ulm: AG SPAK Bücher (2022)
12 EUR.