TERZ 07/08.22 – KLASSENKAMPF
Seit acht Wochen streiken die Beschäftigten der sechs nordrhein-westfälischen Uni-Kliniken nun schon, und ein Ende ist noch nicht in Sicht.
Am Anfang stand eine üppige Kampagne. Denn es war absehbar, dass die Auseinandersetzung nicht einfach wird. Dutzende Organizer*innen sind im Januar des Jahres nach Aachen, Bonn, Köln, Düsseldorf, Essen und Münster in die sechs Uni-Kliniken NRWs ausgeschwärmt und haben umfangreiche Aktionen zur Stärkung der Kampfbereitschaft sowie zur Mobilisierung der Zivilgesellschaft initiiert.
Die Beschäftigten haben mit ihrer Gewerkschaft ein Ultimatum formuliert, das bis zum 1.Mai lief, nicht nur, weil das der Tag der Arbeit ist, sondern auch, weil das genau zwei Wochen vor der Landtagswahl war. Mit dem Ultimatum forderten die Streikenden die politisch Verantwortlichen und den Arbeitgeberverband des Landes (AdL) zu Verhandlungen über einen Tarifvertrag Entlastung (TV-E) auf. Dieser soll eine Mindestpersonalausstattung für alle Bereiche der Unikliniken und angemessene Belastungsausgleiche, mit realen Konsequenzen bei Verstößen, festlegen. Neben der Verbesserung der Arbeitsbedingungen geht es auch um die Qualität der Ausbildung. (Für Details siehe hier: notruf-entlastungnrw.de oder https://facebook.com/notrufnrw).
Mitte April veranstaltete ver.di im Stadion von Rot-Weiß Oberhausen einen zweitägigen Krankenhausratschlag. Dieser bestand aus einer Delegiertenversammlung mit mehreren hundert Beschäftigten aus den sechs Uni-Kliniken und vielen Unterstützer*innen, z. B. aus den Krankenhausbündnissen. Die Landespolitiker*innen wurden vorgeladen, um sie noch einmal mit den Forderungen, der Wut und der Entschlossenheit der Bewegung Entlastung zu konfrontieren. In der ersten Woche nach Ablauf des Ulimatums gab es dann eine fette Demo in Düsseldorf. Etwa 2.500 Menschen waren auf der Straße, darunter auch ein ordentlicher linksradikaler Block.
Nachdem die Uniklinik RWTH Aachen schon nicht bereit war, eine Notdienstvereinbarung zu unterschreiben, versuchten die Chefs gleich in der ersten Streikwoche, den Auszubildenden Stöcke zwischen die Beine zu werfen. Sie wollten den streikenden Auszubildenden die Streikzeit als Fehlzeit berechnen. Dass dies grundgesetzwidrig ist, focht sie nicht an. Ordentlicher Protest konnte sie aber an ihrem Tun hindern.
Die bisherigen Verhandlungsrunden mit den Vorständen der Uni-Kliniken haben noch keine wirklichen Ergebnisse gebracht. Die Verhandlungsdelegationen aus den verschiedenen Bereichen der Krankenhäuser (Pflege, Küche, Reinigung uvm.) haben ihre Forderungen und Pläne für eine bessere Personalausstattung sowie bessere Ausbildung detailliert dargelegt und fundiert erläutert. Die Arbeitgeber reagierten darauf aber bisher fast gar nicht.
Am 14. Juni aber entblödete sich die Geschäftsführung des Bonner Uni-Klinikums nicht, per einstweiliger Verfügung die Rechtmäßigkeit des Streiks zu bestreiten. Damit ist sie jedoch krachend durchgefallen. Das Gericht in Bonn hat die Klage des Klinikvorstandes in allen Punkten abgewiesen. Die Richterin hat festgestellt: Der Streik ist rechtmäßig, die Anliegen und Forderungen sind tarifierbar und die Kolleg*innen in Bonn halten die Notdienstvereinbarung ein. Die Klarheit des Urteils unterstreicht noch einmal die Frechheit des Unterfangens. Trotzdem lässt die Bonner Klinikleitung nicht locker. Sie meint tatsächlich, just am Tag des Schreibens dieses Artikels, beim Kölner Landesarbeitsgericht ein Berufungsverfahren anstrengen zu müssen!
Bis kurz vor der Wahl sprachen sich alle demokratischen Parteien in NRW für den Tarifvertrag Entlastung aus. Bei Aktionen der Beschäftigten oder auch an den Streikzelten betonten die Politiker*innen, dass die Belastung in den Krankenhäusern ein Ende haben muss. Wenige Wochen nach der Wahl hat die politische Unterstützung nachgelassen, die Zusicherungen scheinen nicht mehr viel wert zu sein. Die Streikenden forderten von Anfang an von der Landespolitik eine Zusage für die Finanzierung der Tarifverträge Entlastung. Die Bewegung Entlastung besuchte deshalb mehrfach die Koalitionsverhandlungen mit gepflegten Protesten.
Am 23.06.22 liegt das Koalitionspapier von Schwarz-Grün nun vor. Es ist – gelinde gesagt – eine Unverfrorenheit. Der Absatz „Gesundheit und Pflege“ beginnt mit „Die Modernisierung des Gesundheitswesens, der hohe Fachkräftebedarf, der demografische Wandel, die Folgen der Klimakrise, die Digitalisierung und weitere Herausforderungen stellen hohe Anforderungen an die gesundheitliche Versorgung“.
Etwas weiter unter der Überschrift „Pflege“ ist zu lesen: „Verbesserungen bei den Arbeitsbedingungen und der Bezahlung für alle in der Pflege Tätigen müssen jetzt kommen“. Um gleich mit der ollen Kamelle „der Einrichtung einer Pflegekammer“, an der sie festhalten wollen, fortzufahren.
Vielleicht lässt sich mit den Aussagen zur Finanzierung der Krankenhäuser etwas anfangen: „Wir werden in den kommenden fünf Jahren erhebliche finanzielle Anstrengungen unternehmen, damit in allen Krankenhäusern die notwendigen Investitionen für Personal und Ausstattung erfolgen können.“
Klar ist allemal, die Streikbewegung Entlastung ist in der heißen Phase. Die Gesundheits-arbeiter*innen haben eine ordentliche Bewegung auf die Beine gestellt. Sie haben ihre Auseinandersetzungen deutlich stärker in die Öffentlichkeit getragen, als sie das in den meisten früheren Tarifrunden taten. Zum größten Teil mit und durch ver.di, manchmal auch etwas im Ringen mit ver.di.
Allein deswegen sollten wir die Bewegung Entlastung jetzt nochmal verstärkt unterstützen. Geht zu den Streikposten, bringt Leckereien mit! Sprecht mit den Streikenden, sie haben viel Interessantes und viel Gutes zu berichten.
Ich will mir gar nicht ausmalen, wenn sie nicht durchkommen mit ihrem TV-E. Wie mir eine Kollegin neulich in einem Gespräch sagte: „Wir kämpfen jetzt und hier dafür, wie die nächsten Jahre im Gesundheitswesen sein werden. Wir können nicht verlieren. Das geht nicht!“
Jimmy