TERZ 07/08.22 – FAHR‘N FAHR‘N FAHR‘N
Mit großem Tamtam nimmt die Rheinbahn drei weitere ihrer modernen Hochflurwagen auf der Linie U75 in Betrieb. Keine drei Tage später muss sie diese wegen massiver Türschließ-Probleme wieder vom Gleis nehmen. Die Rheinbahn betonte sogleich, dass sie diesmal keine Schuld trifft, um keine ungute Erinnerungen an einen Vorfall aus dem Jahr 2018 heraufzubeschwören. Damals blieben Züge der Wagenbaureihe HF6 bei einem Testlauf auf der Strecke nach Duisburg in einem U-Bahnhof stecken, weil sie zu breit gebaut waren.
Sicher nur ein Detail, aber doch symptomatisch für ein System, das die angekündigte Taktverdichtung im ÖPNV in eine immer fernere Zukunft rücken lässt. Es fehlt nicht nur an Kompetenz, sondern vor allen Dingen am Geld. Das operative Ergebnis der Rheinbahn lag 2021 bei 81 Millionen. Miesen. Ohne Coronahilfen wären es 51,8 Millionen mehr Defizit gewesen. Noch hat die Rheinbahn den Fahrgastrückgang durch die Coronapandemie nicht wieder ausgeglichen. Ob das Neun-Euro-Ticket Pendler*innen in größere Anzahl nachhaltig zum Umstieg auf den ÖPNV bewegen wird, ist mehr als fraglich. Wahrscheinlicher ist, dass dieser Sommerspaß neue Lücken in den Rheinbahnhaushalt reißen wird.
Die Bahnfahrt von Düsseldorf Oberkassel nach Berlin Kreuzberg mit dem Neun-Euro-Ticket. Ein Selbstversuch. Statt vier Stunden zwanzig Minuten mit dem ICE sind achteinhalb Stunden mit viermal Umsteigen angekündigt.
Dieser Plan ist allerdings schon beim Start Makulatur, da der RE nach Minden mit 20 Minuten Verspätung am Düsseldorfer Hauptbahnhof einfährt. Ohne Handy ist mensch bei der so notwendig gewordenen Anpassung der Reiseplanung völlig aufgeschmissen. Und wehe, der Akku schwächelt. Dann ist mensch nicht nur ohne Fahrschein, sondern auch völlig ohne Orientierung.
Es sind nicht die Neun-Euro-Ticket-Ausflügler*innen, die an diesem Werktag den öffentlichen Nahverkehr aus dem Takt bringen. Eher sind es die zahlreichen Sommerbaustellen, die dafür sorgen, dass praktisch kein Nahverkehrszug pünktlich abfährt. Die Ausflügler*innen ahnen, welchen Entbehrungen die normalen Berufspendler*innen im ÖPNV täglich ausgesetzt sind. Als mein Handy mir in Wolfsburg weitere zweieinhalb Stunden Fahrzeit mit weiterem zweimaligem Umsteigen ankündigt, breche ich meinen Selbstversuch ab und kapere den ICE.
Angesichts dieser Störungen im Betriebsablauf, kann mensch von einem weiteren Ausbau des Streckennetzes nur träumen. Um ganze zwei Kilometer wuchs das Netz der Bundesbahn netto 2020. 88Euro pro Kopf machten die Investitionen der Bahn 2021 aus. Zum Vergleich: in Österreich waren es 249 Euro, in der Schweiz gar 440 Euro. Der vollmundig angekündigte Deutschlandtakt - wohl eher etwas aus dem Reich der Fantasie.
Es ist ja nicht so, dass die Effekte der Sommerbespaßung mit dem Neun-Euro-Ticcket völlig verpuffen. Die Dokomi – die Messe für japanische Popkultur in der Düsseldorfer Arena – verzeichnet dank der günstigen Anfahrtsmöglichkeiten neue Besuchsrekorde: 80.000 Teilnehmer*innen. Schon am Freitag beleben Cosplay-Personen und Manga-Fans mit ihrem Outfit das hohe Nahverkehrsaufkommen.
Drei Fliegen mit einer Klappe für alle: die Region kennenlernen, dabei was fürs Klima tun – und Putin eins auswischen. Einfach die „Seele baumeln lassen“ und dabei noch ein gutes Gewissen haben.
Auf der Luegallee in meinem beschaulichen Oberkassel lagert vor der Antoniuskirche ein Pulk von Postpunks vom Kotti aus meiner Zweitheimat Kreuzberg. Die haben es offensichtlich nicht zu den angekündigten 180 Chaostagen nach Sylt geschafft. Aber das Linksrheinische ist ja auch ein netter Auftrittsort für Selbstinszenierungen. Ohnehin geht das Gerücht, dass die Chaostage auf Sylt bewusst von den Inselbewohner*innen benutzt werden, um Ottonormalverbraucher*in abzuschrecken und an dem massiven Einfall auf die Insel während der Pfingstfeiertage zu hindern.
Alles keine nachhaltigen Effekte, diese Sommeraktion der guten Laune, weder für die Bahnreisenden noch für die Autofahrer*innen, deren Kraftstoffsteuersenkung in den Taschen der Ölkonzernen landet.
Wie wäre es gewesen, wenn mensch die Subventionen für das Neun-Euro-Ticket in eine 365-Euro-Jahreskarte gesteckt hätte, die wie in Österreich landesweit im Nahverkehr gelten würde. So wird man sich in Deutschland ab Herbst wieder mit dem Tarifdschungel von fast 160 Verkehrsverbünden in Deutschland herumschlagen müssen.
Es gäbe noch viel zu berichten. Zum Beispiel über die vielen Baustellen und Nadelöhre auf dem „Hauptradverkehrsweg“ durch Düsseldorf, die nicht nur in den Sommerferien die freie Fahrt auf dem Zweirad durch die Stadt behindern. Oder über die gelungene Demonstration eines breiten Bündnisses zur Verkehrswende am 8. Mai vor den NRW-Wahlen zum Düsseldorfer Landtag.
Aber lassen wir das – die Verkehrswende in Deutschland sind ohnehin ein Dauerbrenner.
Text und Fotos: Michael Flascha