TERZ 10.22 – KLIMAXXX
Es ist Herbst, und die TERZ schaut wieder darauf zurück, wie Düsseldorf in den Sommermonaten durch den Klimawandel kam. Hatte die Stadt im letzten Jahr mit Starkregen und Hochwasser zu kämpfen, so gab es dieses Mal Sonne nicht zu knapp und Niedrigwasser.
Der diesjährige Sommer sorgte auf der nach oben offenen Klimawandel-Skala mal wieder für Maximal-Ausschläge. Nach Angaben des EU-Klimawandeldienstes Copernicus haben die Meteorolog*innen, seit sie Buch führen, noch nie so hohe Temperaturen verzeichnet. Auch hierzulande gab es mit 820 Sonnenstunden einen Rekord. „Der Sommer 2022 war in Deutschland der sonnigste, sechstrockenste und gehört zu den vier wärmsten seit Aufzeichnungsbeginn“, konstatierte der „Deutsche Wetterdienst“. In Düsseldorf kletterten die Temperaturen an 22 Tagen über 30 Grad, in den letzten 50 Jahren taten sie das im Mittel bloß an 8,4 Sommertagen. Lediglich 1995 geriet die Stadt schon einmal ähnlich ins Schwitzen. Niederschlag gab es im August noch nicht einmal 15 Liter pro Quadratmeter, sonst gehen durchschnittlich 70 Liter hernieder.
Am deutlichsten dokumentierte der Rhein die Dürre. Sogar das Flussbett lag an einigen Abschnitten trocken. Alte Weltkriegsmunition kam zum Vorschein und mancherorts Hungersteine, die von Niedrigwasserständen vergangener Dekaden kündeten. Auf einen Tiefstand von 28 Zentimeter sank der Pegel in Düsseldorf Mitte August. Noch weiter hinab ging es mit 23 Zentimetern nur im Jahr 2018. Parallel dazu heizte der Strom sich massiv auf. „Der vielfach als majestätisch beschriebene Rhein zeigt sich momentan von einer traurigen Seite“, stellte Landesumweltminister Oliver Krischer fest und resümierte: „NRW trocknet aus.“ In Nordrhein-Westfalen zeigten 68 Prozent der Grundwasser-Messstellen niedrige bis sehr niedrige Werte an. Als „Grundwasser-Dürre“ bezeichnen Wissenschaftler*innen solche Befunde.
Bundesweit stellte es sich ähnlich dar. Dabei hatten die Wasserstandsmeldungen schon vorher düster ausgesehen. „Deutschland verliert jährlich 2,5 Gigatonnen (...) Das macht das Land zu einer der Regionen mit dem weltweit höchsten Wasserverlust“, resümierte das kanadische „Global Institute for Water Security“ bereits im Frühjahr. Ein Bestand von der Größe des Bodensees ging über die letzten 20 Jahre verloren, so Direktor Jay Famiglietti.
Sollte da auch das Trinkwasser knapp werden? „Die Wasserversorgung ist in NRW wegen der hohen Niederschläge im Winter und deshalb meist gut gefüllter Talsperren akut nicht gefährdet“, beruhigte Krischer, relativierte aber sogleich: „Bisher – ob das so bleibt, können wir nicht sagen.“ Da wagten sich die Stadtwerke weiter vor, obwohl Düsseldorf einen Großteil seines Bedarfs aus versickertem Rheinwasser deckt, dem Ufer-Filtrat. Aber dank einer wasserstauenden Bodenschicht, die den Abfluss in tiefere Regionen verhindert, steht der Stadt vorerst ein ausreichendes Reservoir zur Verfügung, versicherte ein Sprecher des Betriebs.
Gerd Landsberg vom „Deutschen Städte- und Gemeindebund“ mahnt jedoch sicherheitshalber schon einmal eine Wassernutzungshierarchie an und stellt klar: „Hierbei muss und wird die öffentliche Wasserversorgung stets Vorrang haben.“ Tatsächlich gibt es zwischen Industrie, Landwirtschaft und Kommunen schon länger Streit um einen privilegierten Zugriff auf die Ressource. Auch untereinander beharken Gemeinden sich zuweilen. So liegt etwa Frankfurt mit dem Vogelberg-Kreis im Clinch um Nutzungsrechte, während sich in den USA gleich sieben Bundesstaaten das Wasser des Colorado Rivers streitig machen. Die seit Jahren andauernden Querelen zwischen Äthiopien, Ägypten und dem Sudan um das Nil-Wasser beschäftigen derweil schon den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Und selbst zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Staaten kommt es bereits. Nicht zuletzt das Wasser ließ Kirgistan und Tadschikistan im September 2022 zu den Waffen greifen.
Die Wetterextreme, die vom Klimawandel künden, wie Hitze-Wellen, Hurrikans und Starkregen-Ereignisse, fordern Menschenleben. Zudem bedrohen sie die Ernährungssicherheit. Bis zu 50 Prozent ihres Ertrags verloren die Landwirt*innen in diesem Jahr durch die Trockenheit. Das Getreide konnten sie größtenteils noch vor der Dürre – allerdings mit Qualitätsverlusten – einbringen, aber den Herbstkulturen wie Mais, Zuckerrüben und Kartoffeln setzten die heißen Sommermonate zu. Die verschiedenen Obst-, Salat- und Kohlsorten gedeihten ebenfalls nicht recht. „An manchen Standorten sind die Köpfe nur halb so groß wie sonst, und manchmal haben sie im Inneren ein braunes Herz“, klagte etwa der Gemüsebauer Willi Andree aus Düsseldorf-Hamm in der Rheinischen Post über seinen Rotkohl.
Auch für die Tiere und die Umwelt war das ein harter Sommer. Vor allem Fische und andere aquatische Lebewesen litten stark. Schon Wassertemperaturen ab 20 Grad halten Lachsforelle und Äsche nur schwer aus. Und noch heftigere Aufheizungen mit entsprechend heftigerem Algen-Wuchs und in der Folge abnehmendem Sauerstoff-Gehalt bringen auch weniger empfindliche Tiere in Bedrängnis. Die Flachwasser-Zonen, die trockengefallen sind, fehlen einigen Arten ebenfalls, denn sie dienen unter anderem als Laich-Plätze und Aufwuchs-Regionen für Jungfische. Darüber hinaus müssen die Wasser-Bewohner eine stärkere Verunreinigung ihres Habitats verkraften. Durch die abnehmenden Pegelstände steigt nämlich die Schadstoff-Konzentration, bleiben doch die von der Industrie eingeleiteten Gift-Frachten auf konstant hohem Niveau.
Die Wirtschaft bekam den Wassernotstand ebenfalls zu spüren, denn sie nutzt den Rhein nicht nur als Abfluss, sondern auch als Transport-Weg und Rohstoff. Und einige dieser Funktionen vermochte der Strom nun nicht mehr zu erfüllen. Durch die niedrigen Wasserstände stockte die Bereitstellung von Kühlwasser für die Produktionsanlagen, und auch bei den Hol- und Bringdiensten haperte es. Die Schiffe konnten teilweise nur noch die Hälfte ihrer Fracht laden, ohne zu riskieren, auf Grund zu laufen. Das ließ die Preise explodieren und sorgte überdies für Lieferengpässe. Das, was für den BASF-Manager Uwe Liebelt ein „strategischer Standort-Nachteil“ war, fasste Holger Lösch vom „Bundesverband der deutschen Industrie“ (BDI) schon in ein wenig ungemütlichere Worte: „Die anhaltende Trockenperiode und das Niedrigwasser bedrohen die Versorgungssicherheit der Industrie.“ Deshalb forderte Wolfgang Große Entrup, Hauptgeschäftsführer des „Verbandes der chemischen Industrie“: „Die Leistungsfähigkeit von Deutschlands wichtigster Binnenschifffahrtsstraße muss auch bei den niedrigen Wasserständen so rasch wie möglich gesichert werden.“ Und das Mittel der Wahl dazu: Vertiefung der Fahrrinne. Eine sogenannte Beschleunigungskommission mit Vertreter*innen aus Kreisen der Wirtschaft, der Politik und der Behörden mit der Aufgabe, diese Arbeiten an den Flüssen voranzutreiben, hat sich nach einem Treffen von Industrie-Emissär*innen mit Verkehrsminister Volker Wissing schon gebildet. „Hier ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Notlage. Wir brauchen dieses Infrastruktur-Projekt vorrangig und so schnell wie möglich“, sagte der FDP-Politiker. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst stimmt dem zu, während sich Umweltminister Oliver Krischer gegen das Vorhaben aussprach. „Den Rhein einfach nur auszubaggern und tiefer zu machen, löst kein Problem“, meint der Bündnisgrüne.
Die großen Umweltverbände wenden sich ebenfalls streng gegen die avisierte Vertiefung. „Dadurch sinkt der Grundwasserspiegel, die Strömungsgeschwindigkeit erhöht sich, das Wasser fließt schneller ab und die Auswirkung auf die Flusssohle, ein wichtiger besiedelbarer Raum für Kleinstlebewesen, ist verheerend“, so der WWF. Überdies machen die Erosionen, die dort durch den stärkeren Druck entstehen, aufwendige Stabilisierungsarbeiten mittels Kies erforderlich. „De facto bekommt der Rhein dann immer mehr den Charakter eines Kanals“, so Klaus Markgraf-Maué vom NABU. Für die Fluss-Auen hätten die Ausschachtungen ebenfalls Folgen. „Dadurch würden auch Schutzgebiete wie zum Beispiel das FFH-Gebiet Urdenbacher Kämpe bei Düsseldorf massiv beeinträchtigt“, warnt der BUND. Diese drohen durch den dann niedrigeren Grundwasserspiegel nämlich trockenzufallen und damit ihre wichtige Funktion als Habitat für Flora und Fauna zu verlieren.
Wegen dieser Aussichten plädiert Markgraf-Maué dafür, sich ins Unabänderliche zu fügen: „Es geht kein Weg daran vorbei zu akzeptieren, dass die Schiffbarkeit des Rheins abnimmt.“ Und Dirk Jansen vom BUND NRW hält ebenfalls wenig davon, den Lastkähnen den Weg freizuschaufeln. „Wir können nicht gegen den Klimawandel anbaggern“, meint er. „Anstatt Steuer-Millionen für ökologisch schädliche Eingriffe zu verplanen, sollte lieber das Ökosystem Rhein gestärkt werden“, verlangt der Umweltaktivist.
Das ist vor allem im Hinblick auf Starkregen-Ereignisse mit der Gefahr von Überschwemmungen nötig. Mit dem Klimawandel gehen nämlich nicht nur Dürren mit Wassernotstand einher, sondern ebenso heftigere Niederschläge, denn durch die Hitze verdunstet mehr, was größere Mengen von Wasserdampf in die Atmosphäre treibt und so die Regen-Mengen erhöht. Im letzten Jahr gingen solche Unwetter über Holland, Belgien, die Schweiz und Deutschland, wo im Ahrtal und anderswo über 170 Menschen starben, nieder. Heuer traf es vor allem Pakistan.
Um die Folgen solcher Klima-Katastrophen einzuhegen, gilt es beispielsweise, die Ströme zu entschleunigen, indem sie mehr Raum zur Ausdehnung erhalten, etwa durch eine Renaturierung der Fluss-Auen oder eine Rückverlegung von Deichen. So bleibt das Wasser länger in der Landschaft, und die Böden können als Speicher oder Auffangbecken bei Überschwemmungen dienen. Im Himmelgeister Rheinbogen kämpft der BUND seit Jahren um eine solche Maßnahme, sogar mit juristischen Mitteln. Im Februar gab das Oberverwaltungsgericht der Klage statt, die Bezirksregierung geht jedoch gegen das Urteil vor. Laut Rheinischer Post kommt aber Bewegung in die Sache. „Chancen für Deich-Rückverlegung in Himmelgeist steigen“, meldete die Zeitung Ende August.
Von der Bundespolitik gibt es ebenfalls Rückendeckung. Der Entwurf zum „Aktionsprogramm natürlicher Klimaschutz“ sieht es als sehr problematisch an, dass zwei Drittel aller Fluss-Auen in Deutschland durch Deiche vom Überschwemmungsgeschehen abgetrennt sind. Und der Entwurf zur Nationalen Wasserstrategie plädiert ebenfalls für Zurücksetzungen: „Die Verstetigung des Nationalen Hochwasserschutzprogramms (NHWSP) – inklusive der Deichrückverlegung zur Rückgewinnung natürlicher Retentionsräume (z. B. Auen) – ist aus Gründen des vorsorgenden Hochwasserrisiko-Managements erforderlich.“
Mit seiner Wasser-Strategie will der Bund auf alle Herausforderungen des Klimawandels das Wasser betreffend reagieren. „Die Sommer werden heißer und trockener. Starkregen wird häufiger, Schnee seltener. Die Grundwasserspiegel sinken, die Bodenfeuchte geht zurück. Die Trockenheit bedroht Ackerpflanzen und unseren Wald. Wasserstraßen sind immer öfter nicht mehr schiffbar. Nutzungskonflikte können entstehen oder verstärken sich“, konstatiert der 76 Seiten starke Entwurf. „Grundlegende Veränderungen in unserem Umgang mit dem Wasser“ mahnt er deshalb an. Im Moment steckt die Wasserstrategie allerdings noch in der Beratungsschlaufe von Ressorts und Bundesländern. Erst im nächsten Jahr liegt sie dem Bundestag vor, was garantiert zu spät ist für all das, was da im nächsten Sommer kommen mag.
Jan