Das Projekt „Künstlerstraßen in Düsseldorf“

Wer die letzten Wochen im Zeitungslesesaal der Zentralbibliothek am Hauptbahnhof aus dem Fenster schaute, mag sich gewundert haben: Von dort fällt der Blick auf die monumentale Reproduktion eines Familienporträts am gegenüberliegenden Parkhaus. Eine originelle Werbung für einen Familien-Van? Tatsächlich handelt es sich jedoch um die Reproduktion eines Bendemann-Gemäldes: „Die Familie Bendemann und ihre Freunde“.

Die kleine am Parkhaus endende Straße trägt den Namen „Bendemannstraße“. Das war nicht immer so. Weil der Künstler aus einer jüdischen Familie stammte, war die Straße unter den Nazis umbenannt worden. Erst nach 1945 durfte sie dann wieder Bendemannstraße heißen.

Die gigantische Bildinstallation entstand im Rahmen des Projekts „Da sind sie ja“ – ein ambitioniertes Vorhaben, das Inge Sauer und Susanne Dickel ins Leben riefen. Stets wird mit Schulen und Institutionen vor Ort kooperiert. In der Bendemannstraße sind es – unter diesen auch die Diamorphin­ambulanz – allein fünf, die am 11. September unter dem Motto „Unser Bendemann“ dann sogar zu einem Straßenfest luden.

Mit dem Projekt „Da sind sie ja“ (http://kuenstlerstrassen.de) soll an die Maler der „Düsseldorfer Malerschule“ erinnert werden (in der WDR-Mediathek ist ein Audio-Beitrag abrufbar: „Künstlerstraßen von Düsseldorf: Das sind sie ja!“; WDR3 Kultur am Mittag vom 30. August 2022).

„Nehmt Euch ein Beispiel an Mintrop!“

Die Installation am Mintropplatz wurde schnell ein beispielgebender Erfolg. Das Porträt Mintrops sollte ursprünglich nur für ein Jahr an der Verbraucherzentrale hängen, doch die Mitarbeiter*innen hätten sich so in das Porträt verliebt, „dass es jetzt schon zwei Jahre hängt, und die wollen auch nicht, dass es wieder abgehängt wird“, erläutert Inge Sauer im WDR. Gegenüber am Bahndamm hängen Bildtafeln mit Infos über den auf einem Bauernhof groß Gewordenen, der erst mit über 30 zur Malerei fand. „Nehmt Euch ein Beispiel an Mintrop, der hat an seinen Traum geglaubt“, riet ein Wohnungsloser den Schüler*innen, mit denen Inge Sauer vor Ort war. „Seht Ihr, wir sitzen hier und passen auf, dass die Plakate nicht beschmiert werden“, fügte ein anderer hinzu. Das beste Vermittlungsprojekt kann stets nur so gut sein, wie der Bildungsstand in der betreffenden Stadt. Und um den steht es nicht gut. Folge sind dann solche Faux pas’ wie in der Schadowstraße. Dort ist unter anderem die fotografische Reproduktion von „Washington Crossing the Delaware“ angebracht. Sie erinnert an jenes Monumentalgemälde, das Emanuel Leutze 1851 hier in Düsseldorf schuf und heute das Glanzstück des „American Wing“ im New Yorker Metropolitan Museum ist.

Zwar befanden sich Leutzes Wohnhaus und Atelier tatsächlich an jener Stelle, doch anders als auf der Texttafel erläutert ist das Bild nicht dort entstanden. Für das Gemälde hatte der Maler wegen dessen Monumentalität (fast vier Meter hoch und sechseinhalb Meter breit) eigens einen größeren Raum in der Gaststätte „Stübben zwischen den Bahnhöfen“ (heute: Graf-Adolf-Platz) anmieten müssen. Den riesigen Gastraum teilte sich Leutze mit weiteren US-Malern, so z. B. Worthington Whittredge, der an dem Monumentalwerk auch mitwirkte, und Eastman Johnson, dem späteren Mitbegründer des Metropolitan Museums. Derartige „inaccuracies“ gehen aber nicht auf das Konto der Künstlerstraßen-Initiator*innen. Dieser Fehler spiegelt eben nur den katastrophalen Forschungsstand am Düsseldorfer Museum Kunstpalast wieder.

Geschichtsklitterung

In Düsseldorf hatte in der Ära Erwin eine regelrechte „Flurbereinigung“ gewütet. Wie wir wissen, wurde im Stadtmuseum alles abgeräumt, was die sozialen Bewegungen nach 1945 dokumentierte. Auch vor dem Museum Kunstpalast machte der Kahlschlag nicht Halt. Im Katalog zur Malerschule-Ausstellung 2011 finden sich derartig viele Fake-News, dass es einem schlicht die Sprache verschlägt. Der katastrophale Forschungsstand wurde auch offenkundig, als das WDR-„Zeitzeichen“ 2014 einen Beitrag Eduard Bendemann widmete (weiterhin in der Mediathek abrufbar). In diesem heißt es: „Die Idylle entspricht dem Lebensgefühl in den 1830er Jahren. Europa ist nach den napoleonischen Kriegen in einer Ruhephase. Das Bürgertum etabliert sich und richtet seine Häuser ein. Für Maler hat das eine ganz praktische Bedeutung. Nicht mehr Adelige mit Schlössern und hohen Wänden sind ihre wichtigsten Auftraggeber, sondern Menschen mit hohen Zimmern, in die man Ölgemälde hängen kann.“

‚Idylle‘ als Lebensgefühl der 1830er Jahre? Das Gegenteil war der Fall. Im Rheinland, das 1815 beim Wiener Kongress unter preußische Oberhoheit gezwungen wurde, rumorte es. Im Jahrbuch des Forum Vormärzforschung erinnerte ich vor sieben Jahren an diese Zeit: „1826 kam es in Solingen, 1828 in Krefeld zu Arbeiteraufständen. Als im Juli 1830 ein Streik in Paris in Barrikadenkämpfen mündete, die zum Sturz des Bourbonenregimes führten, folgten in vielen Regionen Europas erneut Aufstände.“ In der Rheinprovinz waren dies wiederum, wie der Historiker Michael Müller 1980 im Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte betont, „weitgehend Aktionen von Angehörigen der lohnabhängigen Bevölkerungsschichten, die aus wirtschaftlicher Not auf die Straßen gingen.“ Fazit: „Menschen wollten in Folge selbständig denken, fühlen, handeln – auch in der Kunst.“ Der Düsseldorfer Armenarzt Wilhelm Müller, der unter dem Pseudonym „Wolfgang Müller von Königswinter“ Poesie und Prosa publizierte und kenntnisreiche Kunstkritiken schrieb, erinnert 1854 an diese Zeit: „Man wollte keine hohlen Abstractionen mehr, man forderte contracte Darstellungen aus Fleisch und Bein […].“

Der „tausendjährige Schmerz“

Die Parallelstraße zur kleinen Bendemannstraße heißt wohl nicht zufällig Immermannstraße. Karl Immermann zählte 1829 zu den Mitbegründern des „Kunstvereins für die Rheinlande und Westphalen“. In einem Privatbrief von 1829 äußert er sich zu dem stattfindenden geistigen Umbruch. Goethe und Schiller konnten sich noch, so heißt es da, „auf das Reingeistige und Ideelle fixiren, während das in unsrer realistischpolitischen Zeit schon ganz und gar nicht mehr möglich ist, und der Dichter immerfort in den praktischen, von dem Poetischen ganz hinwegführenden Strudel gerissen wird.“ Wohlgemerkt: geschrieben 1829! Das Bildthema von Bendemanns Gemälde „Die Israeliten im Exil“ oder „die Israeliten in Babylon“ (später fälschlicherweise als „Gefangene Juden in Babylon“ bezeichnet) sei der „tausendjährige Schmerz des über die ganze Erde verstreuten Volkes“, unterstreicht Immermann in einem 1833 in „L’Europe littéraire“ erschienenen Artikel. Das Schicksal der Exilierten wird ganz in den Vordergrund gerückt. Immermann bespricht das Bild nicht zusammen mit den Werken der in der religiösen Tradition Schadows stehenden Maler, vielmehr ordnet er es jener Rubrik zu, in der er von Literatur Inspiriertes behandelt (der Psalm, auf den sich das Bild bezieht, ist in lateinischer Sprache wiedergegeben). In dem Werk komme, so unterstreicht er, nicht allein ein individuelles Gefühl zum Ausdruck, es sei dem Maler darüber hinaus gelungen, ein Bild zu schaffen, das die Indifferenz vieler in Deutschland zu besiegen und über das Ästhetische hinaus zu bewegen vermochte. Derzeit sei ein Kupferstich des Werks in Arbeit. Die Möglichkeit, eine Artikelserie über deutsche Malerei und Malerschulen in „L’Europe littéraire“ zu publizieren, war Karl Immermann von dem seit 1831 in Paris lebenden Heinrich Heine vermittelt worden. Atanazy Raczyński erwähnte das Gemälde dann im ersten Band seiner 1836 publizierten „Histoire de l’art moderne en Allemagne“, die noch im gleichen Jahr auch in deutscher Übersetzung erschien. Im Jahr 1839 konstatiert der Publizist und Kunstkritiker Hermann Püttmann in seinem Buch über die „Düsseldorfer Malerschule“: „Bendemann’s Judenbilder sprechen ein tiefernstes Wort hinein in die Tagesdebatten über Emancipation des unglücklichen Volkes.“ Der Armenarzt Müller attestiert Bendemann sogar „eine ausgedehntere Popularität“, die selbst die des Akademieprofessors Julius Hübner und auch die des Akademiedirektors Schadows in den Schatten stelle. Historienmaler im Umkreis von Carl Friedrich Lessing, einem Großneffen des Dichters der Aufklärung, würden, schreibt Müller, „frisch und keck in Ereignisse greifen, die zu dem Leben in unserer Zeit in einer bestimmten Beziehung stehen.“ Das Besondere: „Sie lassen sich von Gedanken inspiriren, deren Lösung auch noch in unsre Tage hinüberspielt“ und „wenden sich in lebendigen Schilderungen den Kämpfen neuer Zeiten zu […].“ Die Gegenwart hat für sie stets Priorität. „Das junge Deutschland“ habe wichtige Impulse gegeben. „Die Kämpfer der Hallischen Jahrbücher folgten mit ihren scharfen und blanken Schwertern.“

Biedermeierliche Idylle?

Die Jahre des Vormärz hatten im Rheinland wirklich wenig mit „biedermeierlicher Idylle“ gemein. Bildende Kunst, namentlich auch die Bilder Bendemanns, die in hoher Auflage als Stiche Verbreitung fanden, wirkten vielmehr als Katalysator für gesellschaftlichen Umbruch. Der Ruf nach staatsbürgerlicher Gleichstellung des jüdischen Teils der Bevölkerung wurde immer lauter. Unterschriftskampagnen und Petitionen aus Aachen, Bonn, Düsseldorf, Köln und Trier bewirkten, dass dieses Thema auf die Tagesordnung des in Düsseldorf tagenden Provinziallandtags kam. Mit überwältigender Mehrheit stimmte der Landtag 1843 für die staatsbürgerliche Gleichstellung (mit 68 gegen 5 Stimmen für die Aufhebung des „Judenedikts“ von 1808 und mit 54 gegen 19 Stimmen für die völlige Gleichstellung). Die Düsseldorfer jüdische Gemeinde schrieb in ihrer noch am gleichen Tag verfassten Dankadresse an den Landtag: „Dieses Votum wird widerhallen in ganz Deutschland, wir dürfen zuversichtlich behaupten, in ganz Europa; es wird Epoche machen in den Annalen deutscher Ständeversammlungen.“ Die Umsetzung des Beschlusses scheiterte jedoch am Veto des preußischen Königs. Dieses Veto des Monarchen mag auch der Grund sein, warum wir heute von all dem nichts wissen. Es käme ja geradezu einer Majestätsbeleidigung gleich, wollte jemand Friedrich Wilhelm IV. die Judenfeindlichkeit unter die Nase reiben. In „Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhundert“ – 1958 in der aus Gewerkschaftskreisen gegründeten „Büchergilde Gutenberg“ erschienen – zitiert der Historiker Golo Mann aus einem Privatbrief, in dem der Preußenkönig hetzt: „Die schnöde Judenclique legt täglich durch Wort, Schrift und Bild die Axt an die Wurzel des deutschen Wesens.“ Sie wolle nicht, wie er, die „Veredelung und freies Übereinanderstellen der Stände, die allein ein deutsches Volk bilden“, vielmehr beabsichtige diese „Judenclique“ ein „Zusammensudeln aller Stände.“

Ob dieses nun tatsächlich der Grund für das Stillschweigen von Historiker*innen und Kunsthistoriker*innen war, muss dahingestellt bleiben. Vielleicht ist die Qualität der Forschung einfach nur auf der Strecke geblieben, seitdem das Düsseldorfer Kunstmuseum als „Museum Kunstpalast“ in Public Private Partnership weitergeführt wird. Es kann auch sein, dass dabei eine Rolle spielt, dass die – nennen wir es „Grundlagenforschung“ – zur „Düsseldorfer Malerschule“ von Wolfgang Hütt geleistet wurde. Und der publizierte bekanntlich in der DDR. Für eingefleischte Kalte Krieger ist diese noch immer ein „No-Go“.

Der kapitalistische Westen ist keine Alternative

Wolfgang Hütts Biographie ist durchaus spannend. Der 1925 in Wuppertal-Barmen Geborene war im Krieg mit seinen Eltern in die Nähe von Leipzig evakuiert worden. Nach 1945 kehrten seine Eltern zurück, er selbst blieb „drüben“, studierte an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Kunstgeschichte, Germanistik und Architektur. Als ihm wegen oppositioneller Äußerungen 1961 sein Lehrauftrag an der Universität Leipzig entzogen wurde, sah er im kapitalistischen Westen jedoch keine Alternative. Er machte sich in der DDR selbständig, verfasste als erstes einen schmalen Bildband über die „Düsseldorfer Malerschule“, der 1964 im VEB E.A. Seemann Verlag, Leipzig, erschien. Zwanzig Jahre später erschien gleichfalls im VEB E.A. Seemann Verlag sein vollständig überarbeiteter und erweiterter Bildband über die Malerschule – nun im großzügigen DIN A4-Format. Hütt wurde zu einem der wichtigsten Kunstwissenschaftler in der DDR, der Konflikten selbst mit der Parteiführung nie auswich. Da nach 1989 alles, was an Kunst und Kunstgeschichte in der DDR produziert worden war, nicht mehr opportun zu sein schien, landete auch das von Hütt Recherchierte im Depot. Die US-Kunsthistorikerin April A. Eismann, Expertin für East European Art, macht bereits seit Jahren der Bundesrepublik das hier immer noch vorwaltende „Cold War Narrative“ zum Vorwurf.

Thomas Giese