Aus für Lützerath

Grünes Licht für RWE

Unverhofft kommt die Braunkohle zu einer späten Blüte: Aus dem Klima-Killer Nr. 1 wurde „der einzige grundlast-fähige Energie-Träger mit einer vollständig lokalen Wertschöpfung“. Billig und verfügbar – das ist es, was in Zeitenwende-Zeiten zählt. Darum darf RWE jetzt auch den Ort Lützerath plattmachen, um an sie ranzukommen. Die Lizenz dazu stellten mit Mona Neubaur und Robert Habeck zwei Grüne aus, was für Entrüstungsstürme sorgte.

In trauter Runde verabredeten die grüne NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur, ihr Bundeskollege Robert Habeck und RWE-Chef Markus Krebber Anfang Oktober eine neue Kohle-Politik. „Stärkung von Versorgungssicherheit und Klimaschutz – Klarheit für die Menschen im Rheinischen Revier“ war die „politische Verständigung“ überschrieben. Nach dieser Übereinkunft muss der Energie-Riese zwei Kraftwerksblöcke nicht wie ursprünglich vereinbart bis zum Jahresende stilllegen. Er darf sie bis zum Jahr 2024 betreiben und den Ort Lützerath plattmachen, unter dessen Pflaster die zur Verfeuerung benötigte Braunkohle liegt. Im Gegenzug willigte das Unternehmen ein, die Kohle-Förderung im Rheinischen Revier bereits 2030 und nicht erst 2038 zu beenden und mehr Geld in Erneuerbare Energien zu stecken.

Dabei hatte der Bundestag noch im Sommer die Empfehlung ausgesprochen, von dem Kahlschlag Abstand zu nehmen. „Der Deutsche Bundestag befürwortet (...) den Erhalt des Dorfes Lützerath am Tagebau Garzweiler und den Verzicht auf die Nutzung der Braunkohle unter dem Dorf“, hieß es in dem Anfang Juli angenommen Antrag. Doch daran fühlten sich die beiden Grünen nicht gebunden. Die „akute Versorgungssicherheit von NRW, Deutschland und Europa“ lasse keine andere Wahl, so Neubaur zur Begründung. Die FDP pflichtete ihr bei. „Denn für Energie zu wettbewerbsfähigen Preisen braucht es auch Unabhängigkeit. Braunkohle ist hier der einzige grundlast-fähige Energie-Träger mit einer vollständigen lokalen Wertschöpfung“, erklärte Henning Höne für die Landtagsfraktion.

Leicht fiel der NRW-Ministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie der Beschluss allerdings nicht. „Selbstverständlich sind die Folgen weitreichend und finden nicht überall Zustimmung – das ist mir klar“, erläuterte sie, „[a]ber es ist ein großer Erfolg für den Klimaschutz, den Kohle-Ausstieg 2030 verkünden zu können.“ 280 Millionen Tonnen Braunkohle bleiben dadurch unter der Erde, rechneten Neubaur und Habeck vor. Von einem „Meilenstein für den Klimaschutz“ sprach der Bundeswirtschaftsminister deshalb.

Wut und Enttäuschung

Der NRW-Sprecher der Grünen Jugend sah das ganz anders. „Die Entscheidung über Lützerath zerstört den sozialen Frieden in der Region und ist klima-politisch fatal“, sagte Rênas Sahin. „RWE hat es geschafft, die grünen Minister über den Tisch zu ziehen“, konstatierte derweil der BUND, und die „Fridays for Future“-Aktivistin Luisa Neubauer stimmte zu: „Es gibt keinen Grund, ein Unternehmen wie RWE die Regeln über unsere Energie-Wende bestimmen zu lassen“. Zudem verwies sie auf den Koalitionsvertrag der Ampel, der 2030 eh schon als das letzte Kohle-Jahr bestimmt hatte, wenn auch nur „idealerweise“. Ihre FFF-Mitstreiter*innen äußerten folgerichtig „Wut und Enttäuschung“ über den Deal und hielten fest: „Wenn dieses Dorf abgebaggert wird, verfehlt Deutschland das 1,5-Grad-Ziel und damit das Pariser Klima-Abkommen.“

Das „Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung“ (DIW) bestätigte diesen Befund. Mit der Lizenz zum Abbau von 290 Millionen Tonnen bis zum Jahr 2030 liegt RWE um 90 Millionen Tonnen über der Fördergrenze, welche die DIW-Wissenschaftler*innen als notwendig für das Erreichen des 1,5-Grad-Limits bis zum Ende dieses Jahrhunderts erachten. Überdies zweifelt das Institut die von Habeck & Co. so gefeierte Zahl von 280 Millionen Tonnen Braunkohle an, die durch das vorgezogene Aus nicht mehr in den Kraftwerken verbrannt werden. „Unserer Ansicht nach liegen diese Einsparungen tatsächlich eher im Rahmen von maximal 64 Millionen Tonnen oder tendieren sogar gegen null“, erklärt Catherina Rieve vom DIW. Eine „energie-wirtschaftliche Notwendigkeit“, an Lützerath heranzugehen, gibt es für die Ingenieurswissenschaftlerin nicht. Die Gutachten, die eine solche ausgemacht hatten, hält sie nicht für belastbar, da viele Daten vom Energie-Unternehmen selber stammten. Lediglich betriebswirtschaftliche Vorteile für RWE vermag Rieve zu erkennen. Diese bemerkte auch die FAZ. „Für RWE kann das ein interessantes Geschäft werden“, frohlockte die Zeitung, zumal der Konzern die Zusatz-Profite aus den länger in Betrieb bleibenden Kraftwerke nicht mit dem von der Bundesregierung gezahlten Kohleausstieg-Schmerzensgeld von 2,6 Milliarden Euro verrechnen muss. Die Erträge aus der Strom-Vermarktung darf der Energie-Multi laut Eckpunkte-Papier behalten.

Dementsprechend hoch her ging es Mitte Oktober auf dem Parteitag der Grünen in Bonn. Da die Partei schon seit Längerem keine Fundis, sondern nur noch Realos in ihren Reihen weiß, geißelte Luisa Neubauer die mit RWE getroffene Vereinbarung als „ökologischen Hyperrealismus“. Und Karl-Wilhelm Koch warnte: „Lützerath ist so ein Punkt, wo wir uns die Unterstützung der Straße und die Unterstützung von Fridays for Future zerschießen.“ Aber es half alles nichts. Am Ende des Tages lehnten die Delegierten den Antrag der Grünen Jugend für ein Lützerath-Moratorium ab – mit 315 zu 294 Stimmen.

Hambach 2

So steht jetzt das Anrücken der Bagger und die Räumung des Protestcamps an. Die rechtliche Grundlage dafür hatte das Oberlandesgericht in Münster gelegt. Im April 2022 wies es die Klage des Landwirts Eckhard Heukamp gegen seine Enteignung durch RWE ab, woraufhin er sein Land an den Strom-Konzern verkaufen musste.

Allerdings möchte niemand so recht den Startschuss geben, allzu sehr sind den Beteiligten noch die Bilder aus dem Hambacher Wald vor Augen, dem bisher größten Polizei-Einsatz in der Geschichte Nordrhein-Westfalens. Mona Neubaur will den Initiativen erst einmal deeskalierende Gesprächsangebote machen, während die ganze Sache für den Sprecher von NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) ein „rein polizeiliches Thema“ ist, genauer eines des Polizei-Präsidiums Aachen. Die Beamt*innen dort warten jedoch auf eine Ansage aus dem Innenministerium, das der Rheinischen Post hingegen nach Rückfrage beschied, am Drücker sei RWE. Erst nach einer Anzeige wegen Hausfriedensbruch könne alles seinen dienstlichen Gang nehmen. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) wiederum sieht die Bezirksregierung Arnsberg und die Stadt Erkelenz in der Pflicht. Diese aber weist das zurück. „Als Kommune versteht sich die Stadt Erkelenz als nicht federführend bei der Umsetzung eines Räumungs- und Rodungseinsatzes, da sich die Flächen im Privateigentum der RWE AG befinden“, bekundete eine Sprecherin des Ortes.

Die Polizeigewerkschaft drängt allerdings schon, weil die Rodungsperiode, in der die Kettensägen an die Bäume dürfen, am 28. Februar endet. „Das ist wie bei Zahnschmerzen, am besten macht man es sofort“, meint GdP-Landeschef Michael Mertens und warnt: „Und je länger man wartet, desto mehr wird sich die Szene dort eingraben und verbarrikadieren. Irgendwann wird Lützerath zu einer Festung.“ Antje Grothus, Aktivistin der ersten Stunde und inzwischen für die Grünen im Düsseldorfer Landtag, denkt hingegen schon mit Grauen an das, was bevorsteht. „Ich weiß nicht, ob ich eine Räumung von Lützerath aushalten könnte. Dafür bin ich in die Konflikte über die vielen Jahre zu sehr involviert. Die letzte Räumung im Hambacher Wald hat sogar ein Menschenleben gekostet. Ich tue mich unendlich schwer zu sagen, wir beginnen das letzte Kapitel der Braunkohle mit einer Räumung“, so Grothus in einem taz-Interview.

Jan

Zu einer Demonstration unter der Losung „Lützerath schützen – Braunkohle-Bagger stoppen“ rufen Alle Dörfer bleiben, der BUND, campact, Fridays for Future, Greenpeace und andere Gruppen für den 12. November um 12 Uhr in Erkelenz-Lützerath auf.