Melancholisches für den Herbst

Nach dem Urlaubsbericht und dem Spezial über Laura Veirs, stellen wir euch diesmal einige Neuerscheinungen und ein paar schöne Veröffentlichungen die in der Corona-Zeit untergegangen sind vor:

Fangen wir an mit den Blackberries aus Solingen und ihrem neuem Album Vorwärts Rückwärts, wie gewohnt auf Unique erschienen. Seit Mrs. Cave und ich die Blackberries erstmals 2018 beim „Open Source“-Festival gesehen haben, sind wir begeisterte Follower und Fans von den netten Solingern sowie ihren Freunden Palce Fever oder Suzan Köcher und besuchen deren Konzerte regelmäßig. Umso erfreuter waren wir, dass zum Erscheinen des neuen Albums auch eine Show in Düsseldorf stattfinden sollte. Aber erst einmal zu Vorwärts Rückwärts. Neun verspielt instrumentalisierte Psychedelic-Pop-Nummern, die einen wieder daran erinnern, dass Solingen nicht umsonst Rock City #1 ist. (Vor Jahren wurde auf diverse Solinger Stadtschilder unter das „Solingen“ Rock City gesprüht …) Mein absoluter Lieblingssong auf dem Album ist After The War. Hinter einer packenden Melodie, die an einen harmlosen Sommersong erinnert, verstecken sich im Text die Schrecken des Krieges, aber der Songtitel lässt auf ein Ende dessen hoffen. Sänger, Songschreiber, Gitarren- und Mellotronspieler Julian Müller wird von Album zu Album besser! Auch bei den beiden erstmals auf Deutsch gesungenen Titeln, Vorwärts, Seite A und Rückwärts Seite B, überzeugt Julians warmer, melancholischer Gesang, was hoffen lässt, dass er in Zukunft öfter mal auf Deutsch singt. Am 8. Oktober fand dann das Blackberries Konzert im Derendorfer R25-Kulturschlachthof statt. Die Solinger sprühten wie gewohnt vor Spielfreude und es wurde ein sehr kurzweiliger Abend. Denn die zweite Band, Support wäre hier nicht passend, machte den Abend komplett. Lucy Kruger & The Lost Boys aus Berlin präsentierten ihr viertes Album Teen Tapes (For Performing Your Own Stunts), im April diesen Jahres auch auf Unique erschienen. Sängerin Lucy Kruger stammt aus Südafrika, wohnt aber seit geraumer Zeit in Berlin. Wir kamen nach der Show am Merch-Stand ins Gespräch. Ich wollte natürlich wissen, ob sich die Lost Boys auf den Mittachtziger Vampirfilm von Joel Schumacher beziehen, aber nein, die Lost Boys sind hier die Freunde von Peter Pan. Der Bezug zur Vampirgang rund um Kiefer Sutherland wäre aber auch passend gewesen, denn musikalisch wurde ein krachig- noisiges, dabei sehr langsam gespieltes Gitarrenset, untermalt von Lucys melancholisch erzählendem Gesang, präsentiert. Das Album braucht sich ebenfalls nicht hinter der Liveperformance zu verstecken! Der R25-Kulturschlachthof ist übrigens mit seinem angeranzten Charme ein schöner Konzertort. Mit der Straßenbahn 704, Endhaltestelle Rather Straße und anschließend kurzem Fußweg zu erreichen, das nur mal so als kleiner Tipp am Rande. Vor kurzem haben wir dort noch eine gute Show von Love ‘n‘ Joy aus der Ukraine und Neumatic Parlo aus Düsseldorf, auch auf Unique, gesehen.

Mrs. Cave hatte es leider vorgezogen, die Biennale in Venedig zu besuchen, statt die Blackberries und Lucy Kruger in Düsseldorf zu unterstützen. Getroffen haben wir uns dann in Hamburgs Schanzenviertel bei Zardoz Records. Neben diversen Flying Nun[1] Releases haben wir dort, ohne reinzuhören, zwei Platten eingepackt, die wir euch ebenfalls vorstellen wollen. Die erste Zardoz-Entdeckung von Mrs. Cave ist der Soundtrack Hello Blackbird (A Soundtrack By Mercury Rev) von Mercury Rev, im Original 2006 nur als CD auf V2 erschienen und erst 2020 von Cherry Red auf Vinyl veröffentlicht. Der Soundtrack ist für den ersten Spielfilm von Robinson Savary Bye Bye Blackbird geschrieben worden. Unter anderem gefilmt im Mirker Bahnhof in Wuppertal. Eine tragische, im Zirkusmilieu angesiedelte Geschichte mit einem Enkel Charlie Chaplins in der Hauptrolle. Die Referenzen Eiffelturmbau, Zirkus, Liebe und Tod werden durch den Soundtrack eins zu eins wiedergespiegelt, so dass sich der unbekannte Film schon als Preview vor dem inneren Auge abspielt. Randnotiz: Live und als Support für Nick Cave bei der Abattoir Blues / The Lyre Of Orpheus Tour 2004/2005 haben wir Mercury Rev in Düsseldorf gesehen, aber dann leider nicht weiterverfolgt. Mercury Rev haben sich 1989 in Buffalo/New York gegründet und mehrere Alben in unterschiedlicher Besetzung u. a. bei Rough Trade und Sony veröffentlicht. Ihr Psychedelic Rock wird gerne mit den Flaming Lips verglichen.

Das zweite Mitbringsel aus Hamburg ist das meditative Doppelalbum Refuge von Devendra Banhart & Noah Georgeson, 2021 auf Dead Oceans erschienen. Zwei Freunde aus der AntiFolk-Szene, die sich schon lange kennen und viel gemeinsam musiziert und produziert haben. Noah Georgeson ist seit 2005 Begleitmusiker und Produzent für Devendra Banhart. Refuge ist ein sehr untypisches Dev Bennert[2] Album und als Dialog konzipiert, welcher von den New Age Kassetten der Eltern inspiriert ist. Sehr ruhig und langsam wird man auf atmosphärischen Klangteppichen in andere Sphären entführt, entspannt sich und kommt voller Tatendrang nach Oberbilk zurück, um dann für die TERZ zu schreiben. Erwähnenswert ist hier, daß sich Dev Bennert auf die experimentelle Musikerin Pauline Oliveiros und ihr „Deep Listening“ beruft.

Zum Schluss wird es nun lauter und krachiger. Die Briten Crippled Black Phoenix haben mit Banefyre auf Season Of Mist ihr neuestes Album veröffentlicht. Die progressive, Ambient, Post- und Experimentalrock-Band legt mit Banefyre ein über 90-minütiges Epos vor, welches von Vielen als ihr bestes Album bezeichnet wird! Sehr düster, teilweise sphärisch, dann wieder rockig, Abschweifungen in Black-Metal oder Post-Punk Gefilde und der knackige Mix, wie man es von Kurt Ballou (Converge) gewohnt ist, machen Banefyre zu einem meiner Topanwärter zum Album des Jahres! Nicht zuletzt durch die verschiedensten Gastsänger*innen wird Banefyre auch bei der langen Spielzeit nie langweilig! Gepresst auf drei LPs im Tripple-Klappcover mit einem tollem Artwork des australischen Künstlers Mathew Dunn wird auch das Auge mitgenommen auf die spielfilmlange Reise

So, das war es dann auch schon für den November, bedingt durch Urlaub und Kurztrips hatten wir diesmal nicht so viel Zeit für die TERZ ...

euer Oberbilker und Mrs. Cave

[1]  Flying Nun ist eines der ältesten Musiklabels im Indie, Punk und Alternativbereich Neuseelands, vielleicht kommt da auch mal ein Special zu.
[2]  Dev Bennert ist unser gemeinsamer Spitzname für Devendra Banhart.