Leserbrief zu „Kulturstadt Düsseldorf aber wirklich für alle?“ (TERZ 06.20)

„Wir leben ja nicht unter einer Käseglocke ...“

In der vergangenen TERZ war mit einem Artikel die Arbeit der Düsseldorfer Kulturliste vorgestellt worden. Hier keine Polemik, aber doch eine kritische Haltung zu dem „Phänomen“, dass eine menschenwürdige Grundversorgung in unserer Gesellschaft immer weiter auf ein rein ehrenamtliches Engagement umgestellt wird. Zu dieser Problematik hatte das Radio MegaHartz einst Winfried Gather, den hiesigen Diözesansekretär der Katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB) interviewt. In dem Gespräch warnte Gather vor einem neoliberalen Umbau unseres Gemeinwesens in ein freiwilliges Almosenwesen. „Wir leben ja nicht unter einer Käseglocke, wenn wir uns sozial engagieren und damit auch politisch engagieren“, unterstrich der KAB-Diözesansekretär. Das Engagement für die Menschen sei wichtig, und in der KAB seien nahezu alle auch ehrenamtlich aktiv, aber, so Gather, „wir müssen auf der anderen Seite auch sehen, dass wir die Rahmenbedingungen ändern.“ Der Umbau unserer Gesellschaft finde schleichend statt: „Vor dreißig Jahren kannte keiner die Tafeln, vor zwanzig Jahren keiner die Sozialkaufhäuser, die Fairkaufhäuser und vor zehn Jahren keiner die Kulturlisten und Kulturlogen. Was ist in der Zeit passiert? Der Sozialstaat hat sich immer mehr davon verabschiedet, die Aufgaben wahrzunehmen, die eigentlich seine Aufgaben sind.“ Diese seien jedoch „immer mehr abgegeben worden an – wie man heute so schön neudeutsch sagt – an Gutmenschen, an Organisationen, die es machen, weil einfach die Not gesehen wird.“

Gather wies darauf hin, dass Menschen weltweit gegen die Schleifung von Sozialstandards auf die Straße gingen, es bei uns hingegen weitgehend ruhig bleibe. „Tafeln“, „Kulturlisten“ und „Kulturlogen“ trügen faktisch mit dazu bei, dass der Abbau des Sozialstaats hier relativ sang- und klanglos über die Bühne ginge.

„Nicht nur Armut, sondern auch Reichtum muss das Thema der gesellschaftlichen Debatte sein“, zitierte Gather das mittlerweile in die Jahre gekommene gemeinsame Sozialwort der evangelischen und katholischen Kirche. „Und da scheuen wir uns als Gesellschaft vor, zu sagen, gesellschaftliche Verantwortung heißt, dass die Starken auch mehr schultern müssen. Und auch Reizthemen wie Vermögenssteuer, Erbschaftssteuer und und und – über so etwas müssen wir reden, wenn es darum geht, wie der Sozialstaat finanziert werden kann.“

Winfried Gather ist mittlerweile verrentet, das Radio MegaHartz abgeschaltet. Schwarz-Gelb hat 2018 beschlossen, die Landesmittel für den Bürgerfunk um 90 % (!) zu senken. Es gab beim Radio MegaHartz Überlegungen, den Sendebetrieb trotz alledem aufrechtzuerhalten. Neben der Redaktionsarbeit noch Geld für Studiomiete aufzutreiben oder Alternativen zu Studioaufnahmen zu entwickeln, erwies sich als unrealistisch. Im Januar 2019 stellte deshalb das Radio MegaHartz den Sendebetrieb endgültig ein. Eine weitere kritische Stimme in Düsseldorf weniger! Im Übrigen empfand ich es all die Jahre – MegaHartz war monatlich seit November 2012 auf Sendung – äußerst frustrierend, dass gerade mal ein Einziger aus den Reihen der Interventionistischen Linken sich bei Radio MegaHartz und Mittwochsfrühstück kontinuierlich engagierte. Eine pompöse Agenturschlussaktion 2005(!) in der Agentur für Arbeit durchführen und mal öffentlich „I, Daniel Blake“ zeigen, ist das eine, solidarisch an der Seite von Betroffenen kämpfen, was anderes.

Als Mahnung hier noch einmal Gathers Worte, die Januar 2014 über den Sender MegaHartz gingen:

„Wie gesagt, das ehrenamtliche Engagement steht für mich außer Frage, das ist wichtig. Aber es darf eigentlich nicht die Verpflichtungen, die der Staat, die Gesellschaft haben, entlasten. Das heißt: Wir müssen beides tun; wir müssen was für die Betroffenen tun – wir können nicht sagen: Du bleibst solange außen vor, bis wir politisch was erreicht haben –, aber wir müssen auch gucken, dass wir parallel dazu was politisch Erreichen, dass das mit auf unserer Agenda steht, dass wir uns auch in diesem Sinne engagieren.“

Thomas Giese


Leserbrief zu Nazis? Welche Nazis? Zum Umgang der Stadt Düsseldorf und der Polizei mit „Corona-Demos“ (TERZ 06.20)

Erschreckend inhaltsleer ist der TERZ-Artikel über die „Corona-Demo“, die am 9. Mai Neofaschisten und Corona-Rebellen auf dem Burgplatz zusammenführte. Ganz erschüttert von der Duldung des neofaschistischen Treibens der „Bruderschaft Deutschland“ durch die Staatsgewalt, verabsäumt der/die Autor/in, die LeserInnen darüber aufzuklären, was für einen gemeinsamen „Inhalt“ die bizarre Mischung von Demonstranten denn so im Angebot hat und womit sie beim Staatsvolk punkten will.

Dass die Neofaschisten gemeinsam mit wutbürgerlichen Corona-Rebellen demonstrieren, liegt an ihrer gemeinsamen Ideologie. Verschwörungsideologen und Verschwörungsgläubige glauben an personifizierende Verschwörungsmythen, die gesellschaftliche Krisenphänomene dem bösartigen Handeln von Einzelpersonen zuordnen. Will man den Neofaschisten die „Follower“ abspenstig machen, könnten Fragen sinnvoll sein. Fragen könnte man beispielsweise, warum der staatlich verordnete „Shutdown“ lediglich ein gebremstes Herunterfahren der „Wirtschaft“ beinhaltet, so dass in den Produktionsstätten, im Gesundheits- und im Transportwesen zahlreiche Arbeitskräfte zwecks Mehrwertabpressung einem enormen Gesundheitsrisiko ausgesetzt werden. Gebrochen werden könnte auf diese Weise der Bann des Irrationalen, unter dem die wütenden Corona-Rebellen stehen. Überzeugt werden müssten sie durch geduldiges Argumentieren und Agieren davon, dass das staatliche Herrschaftspersonal keineswegs gemäß einer Verschwörung, sondern als ideeller Gesamtkapitalist nach der kapitalistischen Profitlogik handelt.

Pierre Jacob